„Der freie Wille war in der Theorie ein schönes Konzept, aber in der Praxis ein Flittchen“
von Katja Bohnet
Kommt Leute! Wir reisen nach Südafrika. Malerische Küsten, Safari und ein Glas Shiraz. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist uns nach den Weltkriegen jedoch dafür das Geld und die Gesinnung ausgegangen. Die Apartheid beutelt ein Volk. Weiße dominieren Schwarze. Afrikaner dürfen keine Wagen lenken, werden enteignet, aus Städten und von der Bildung ausgeschlossen, arbeiten als Untergebene, Bedienstete, werden mit Turnschuhen entlohnt. Weiße fahren Auto, Schwarze laufen oder fahren Bus. Der Boss beschäftigt Boys.
Wo die Unterdrückung blüht, breitet sie sich seuchenartig aus. In der Stadt wie auf dem Land im Kraal. Die Siedlung wird von einem Chief beherrscht, der sein Vieh besser behandelt als seine Frauen Eins bis Fünf. Wenn die Gesellschaft Menschen ihren Wert aberkennt, dekliniert sich die Verachtung durch das System. Schwarze leiden, schwarze Frauen noch viel mehr. Das Opfer in „Tal des Schweigens“ ist eine schwarze Magd. Um Menschen zu benachteiligen, braucht es Täter und Opfer. Von beidem gibt es in diesem Ariadne-Roman genug. Aber wo könnte die Blüte der Hoffnung besser gedeihen, als in einer hoffnungslosen, kranken Welt?
Detective Emmanuel Cooper ist Kriegsveteran, ein ruhiger, sensibler Beobachter und stiller Kritiker des Systems. Sein Vorgesetzter van Niekerk nennt seinen Untergebenen ein „gieriges Biest“. Weil Cooper nicht nicht genug bekommen, nicht locker lassen kann, wenn er etwas will. Dennoch ist Cooper am Ende der beruflichen Leiter angekommen, als er den Fall einer ermordeten schwarzen Bediensteten annehmen muss: Weniger aussichtsreich geht es nicht. Begleitet von dem Zulu-Ermittler Shabalala reist er an den Fuß der Drakensberge. Dort erwarten die beiden ein korrupter Polizist, eine verängstigte Ärztin, ein größenwahnsinniger Chief, eine resolute Farmerin, ein verrückter Junge, die kleine, englische Madam und kampflustige Zulu-Krieger. Das Personal ist bemerkenswert: Glücklich ist der Autor, der seine Zeit mit interessanten Figuren verbringt. Wer die schöne Amahle umbrachte, mit Blumen bedeckt unter einem Feigenbaum bettete, bleibt zunächst unklar. Der Roman beginnt langsam, lässt sich Zeit. Entsprechend diesem Tempo gibt es kaum Straßen auf dem Land, höchstens Schotterpisten, die eine zügige Fortbewegung unmöglich machen. Buschmänner überbringen im Laufschritt Nachrichten. Sobald auch die Ermittler durch Wald, Feld und Berge rennen müssen, nimmt die Handlung Fahrt auf, fast schon furios.
Der Roman entwickelt sich linear, die Struktur wartet mit keinen Überraschungen auf. Aber Malla Nunn versteht es, die Poesie, die der kargen, afrikanischen Landschaft innewohnt, vor dem Leser auszubreiten. Zauberer zaubern, Geister treten auf, und das alles funktioniert ganz wunderbar. In einem Land und zu einer Zeit, wo Rollen auf den Millimeter festgelegt sind, weitet Malla Nunn den Blick: Keiner ist der, der er zu sein glaubt. Die Rechtschaffenen betrügen, die Schwachen verhalten sich stark, die Bauernschlauen werden die Dummen sein. Dafür kann man die Autorin bewundern; wofür man sie lieben muss sind unter anderem die Spitznamen, die Gabriel, der seltsame Junge mit der „Bestimmungsmacke“, allen Menschen gibt: Mrs. Violet Stewart, furchtsamer Maulwurf. Mr. Gowda, Busfahrkarte. Mrs. Samantha Eggers, immer am Schreien. Mrs. Beatrice Carson, Ein-Baby-pro-Jahr. Der Besitzer des General Stores, nur Bargeld.
Wenn der Mord an Amahle aufgeklärt ist, scheint diese ungerechte, verrückte Welt zumindest für einen Moment eine bessere geworden zu sein. Das verbotene Nebeneinander der verschiedenen Kulturen, Engländer, Buren, Zulu, Schwarze, Weiße, Frauen, Männer, Herren und Untergebene befriedet sich in der Zusammenarbeit der beiden ungleichen Ermittler, die sich achten und ergänzen. Einer allein könnte in dieser rassistischen Umgebung nichts erreichen. Im Miteinander liegt die Kraft, die das Unmögliche möglich macht.
Katja Bohnet
- Malla Nunn: Tal des Schweigens (Silent Valley). Aus dem Englischen von Laudan C& Szelinski. Ariadne Kriminalroman 2015. 13€.