Nachrichten aus der Antipodenwelt
– „Die andere Bibliothek“ des gerade um sein Überleben kämpfenden Eichborn-Verlages ist ein ambitioniertes und Genre übergreifendes Projekt: In liebevoller Aufmachung präsentieren sich hier exquisite, überraschende und auch durchaus exzentrische Werke an den Schnittstellen von Philosophie, Literatur und Dokumentation. Mit Marc Schweskas „Zur letzten Instanz“ gesellt sich nun erstmals ein eigenwilliges deutschsprachiges Roman-Debüt dazu. Von Karsten Herrmann
Marc Schweska eröffnet in seinem Erstling den überraschenden Blick auf eine Ostberliner Subkultur, die zwischen grauem Einheitssozialismus und Stasispitzeln ungewöhnliche Blüten treibt. Sein Protagonist Lem ist ein „Kreuzberger Nachtschattengewächs“, arbeitet an der Oper als Kleindarsteller, spielt in der Avantgarde-Band „Maldoror“ und ist mit der Anarchosyndikalistin Ira liiert: „Irrsinn spielte in der Dramaturgie seines Welttheaters eine gewisse Rolle.“
Während die Jugendlichen im Westen auf ihren Ataris herumhackten, basteln Lem und seine befreundeten Computerfreaks an schrägen digitalen Schaltkreisen: „Die Kombination aus Mangel- und Mängelware plus Bastlerehrgeiz und Experimentierlust lieferte rare Produkte.“ Die von ihren Vätern einst gehegte Utopie eines kybernetischen Datenraums erfahren sie nur noch als staatliche Kontrolle und ihr Leben spielt sich in den Nischen dazwischen ab: in Musik-Clubs, Off-Theatern und Avantgarde-Zirkeln.
Avancierte Collage unterschiedlichster Textformen
Marc Schweskas Prosa ist von überschäumendem, sozusagen anarchischem Temperament und ist gespickt mit Witz und Ironie. Sie eröffnet dabei auch ein Universum der intertextuellen Bezüge von Philoktet über Shakespeare bis zu Tarkowski, Mandelstam und Achmatowa.
„Zur letzten Instanz“ ist alles andere als ein klassisch erzählender Roman, sondern Schweska liefert hier eine avancierte und den Leser herausfordernde Collage aus unterschiedlichsten Textformen: Poesie, Brief, (Stasi-) Bericht, Gebrauchsanweisung oder Fragebogen fügen sich zu einem eigenwilligen Textwerk und liefern uns in dieser Weise noch nie gehörte „Nachrichten aus einer Antipodenwelt“.
Karsten Herrmann
Marc Schweska: Zur letzten Instanz. Die andere Bibliothek im Eichborn Verlag 2011.360 Seiten. 32,90 Euro. Eine Leseprobe des Buches gibt es auf der Homepage des Autors.