Geschrieben am 30. April 2014 von für Bücher, Litmag

Marie-Luise Scherer: Unter jeder Lampe gab es Tanz

scherer_Unter jeder lampe gab es tanzSie kann einfach alles

–Vier Dankesreden von Marie-Luise Scherer für zuerkannte Preise, in denen die Autorin und Journalistin über ihr Leben erzählt. Von Carl Wilhelm Macke.

Wenn sie heute auf ihr erwachsenes Leben zurückblicke, dann sei es geprägt gewesen von einer anhaltenden Furcht vor dem Schreiben. Von einer Journalistin hätte man dieses Selbstbekenntnis wohl am wenigsten erwartet. Ist doch das ständige, sichere, professionell gekonnte Schreiben die wichtigste Grundlage für die journalistische Arbeit. Vielleicht aber sind es gerade die besten, um ihre Verantwortung wissenden Journalisten, die ihrer Arbeit gegenüber besonders skrupulös sind. Dass Marie-Luise Scherer jahrzehntelang zu den besten ‚Federn’ im deutschsprachigen Journalismus gehört hat, steht außer Frage. Ihre zuletzt vor allem im SPIEGEL erschienenen Reportagen überschritten mit ihrer stilistischen Brillanz vollkommen unspektakulär die Grenzen zwischen journalistischem und literarischem Schreiben.

Ist Marie-Luise Scherer nun eine literarisch gebildete Journalistin oder eine journalistisch genau schreibende Schriftstellerin? Man lese dazu einmal (wieder) einige ihrer Reportagen, die in der ‚Anderen Bibliothek’ unter dem Titel „Der Akkordeonspieler“ veröffentlicht worden sind. „Marie-Luise Scherers Aufmerksamkeit“, so schreibt ihre Kollegin Angelika Overath in einer Rezension, „richtet sich auf prekäre Welten, verschwindende Existenzen, Strategien des Irgendwie-Davonkommens… An der Schnittstelle von Artistik und Moral hält sie beides fest und verleiht in ihren Sätzen den Erscheinungen die Intensität der Präzision, eine letztlich versöhnende Würde, von der wir ohne sie nicht wüssten.“ Für ihre Arbeiten erhielt Marie-Luise Scherer auch eine ganze Reihe an bedeutenden Preisen wie etwa den „Ludwig-Börne-Preis“, den „Italo-Svevo-Preis“ und den „Heinrich-Mann-Preis“.

Ihre jeweiligen Dankesreden sind jetzt in einem schmalen Band mit dem Titel „Unter jeder Lampe gab es Tanz“ zu lesen. Auch hier kann man wieder diese absolute Stilsicherheit und Fähigkeit der Marie-Luise Scherer bewundern, sich souverän entlang der Grenzen von Journalismus und Literatur, Autobiographie und Zeitdiagnose herumzuschlängeln. Und sie kann mit großer Empathie über andere Menschen schreiben – in diesem Band über ihren Vater – ohne auch nur mit einer Zeile in Sentimentalitäten abzurutschen.

„Sie kann einfach alles“, wie es Gustav Seibt einmal in der ‚Süddeutschen Zeitung“ über sie geschrieben hat. Und so eine Autorin soll tatsächlich ihr ganzes Leben lang ‚Angst vor dem Schreiben’ gehabt haben…?

Carl Wilhelm Macke

Marie-Luise Scherer: Unter jeder Lampe gab es Tanz. Wallstein-Verlag, Göttingen 2014. 80 Seiten. 14,90 Euro.

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