Von Küchen und Kriegen
Gewohnt souverän erzählt Martin Suter in seinem neuen Roman Der Koch von der Wirtschaftskrise, vom Krieg in Sri Lanka und dem Geschäft damit, von der Molekularküche und der Liebe. Heraus kommt ein gewohnt elegant geschriebener Roman mit ein paar Längen. Frank Rumpel lässt sich den Appetit aber nicht verderben, au contraire …
Urd-Linsen-Cordons in zwei Konsistenzen, Churaa Varai auf Nivara-Reis mit Mintschaum, gelierte Spargel-Ghee-Phallen. Das sind nur einige Gerichte aus dem Love-Menü, das in Martin Suters neuem Roman eine zentrale Rolle spielt. Hier wird mit Rotationsverdampfer und Glaskolben gekocht, werden Sphären, Schäume, Lüfte und Gelees gereicht, allerdings ohne den sonst in Büchern mit kulinarischem Schwerpunkt häufig penetrant zelebrierten Gestus des Allein-selig-Machenden.
Suters Protagonist Maravan stammt aus dem Norden Sri Lankas. Er ist ausgebildeter Koch, arbeitet aber seit seiner Flucht in die Schweiz nur als Küchenhilfe in einem Nobel-Restaurant. Gelegentlich schickt er Geld nach Hause und hält sich seelisch im Gleichgewicht, indem er zumindest sich selbst in seiner eigenen Miniküche beweist, dass er’s noch kann, dass er Koch ist, ein guter dazu, zumal ihn mancher Duft an seine Jugend erinnert. Er experimentiert gern und hat die traditionellen Rezepte seiner Großtante mit den Möglichkeiten der Molekularküche ganz neu interpretiert. Er träumt davon, in Sri Lanka ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Doch dort herrscht (der Roman spielt zwischen März 2008 und April 2009) immer noch Krieg zwischen den Guerillas der Tamil Tigers, die seit 1983 für die Unabhängigkeit des vorwiegend von Tamilen bewohnten Nordens und Ostens Sri Lankas kämpfen, und der Armee, die im vorigen Jahr zur letzten Großoffensive blies.
Sex Catering
Als Maravan eine Frau mit seinen Kochkünsten beeindrucken will und sich dafür ungefragt Gerätschaften aus der Küche des Restaurants ausleiht, setzt dies einiges in Bewegung. Er wird gekündigt und die Frau verbringt die Nacht mit ihm, ein Beweis dafür, dass die ihrer aphrodisischen Wirkung wegen ausgewählten Speisen tatsächlich wirken, denn Andrea hat mit Männern sonst nichts am Hut. Die beiden beschließen einen eigenen Catering-Service zu eröffnen. Mit Love Foods bringen sie zunächst die Patienten einer Sexualtherapeutin wieder in Schwung, bis sich ihnen eine weit lukrativere Nische auftut. Sie tischen den Kunden eines Nobel-Callgirl-Rings auf und das sind zahlungskräftige Männer aus den oberen Wirtschafts- und Politetagen.
Darunter ist auch ein Mann, der seine Hände als vielseitiger Vermittler ohne Gewissen immer dort im Spiel hat, wo viel Geld zu verdienen ist. So fädelt er unter anderem ein Geschäft ein, bei dem ausrangierte Panzer über einige Umwege an die Armee in Sri Lanka verkauft werden. Das ist umso prekärer, als Maravans Neffe von den Tamil Tigers als Kämpfer rekrutiert wurde und die Außenposten der Tigers bei den Exilanten in der Schweiz kräftig abkassieren.
Unterhaltsam bis unverbindlich
Es ist eine fein verästelte Geschichte, die der 62-jährige Martin Suter in seinem siebten Roman gewohnt souverän und dialogstark vor den Lesern ausbreitet. Er weiß auf engstem Raum Atmosphäre zu schaffen und sie problemlos über 300 Seiten zu halten, ohne dabei auch nur einmal zu stolpern. Seine Figuren sind weitgehend stimmig und vor allem die geldgeilen Exemplare nicht selten mit herrlich bissigem Humor gezeichnet. Einige wenige allerdings sind ihm zu eindeutig, zu schwarz-weiß geraten.
Die Themen seines Romans hat Suter bis in die Details gewohnt gut recherchiert. Der Hintergrund etwa, den er seinem Protagonisten Maravan gibt, ist differenziert ausgestaltet und geschickt eingeflochten. Und auch die Zubereitung der aphrodisischen Speisen (ein klassisches Suter-Thema: Es geht mal wieder um Bewusstseinsveränderung), die immerhin eine wichtige Rolle spielt, reitet Suter im Text nicht tot, sondern verbannte die zugehörigen Rezepte klugerweise in den Anhang.
Die Erzählung fließt leicht und unterhaltsam, gelegentlich auch eine Spur zu gemächlich und unverbindlich dahin, um schließlich auf einen Plot zuzusteuern, der wenig zwingend ist und ebenso wenig überrascht. Aber er schließt einen Kreis, führt Geschichten zusammen, die klar und bildreich erzählt, in der Lage sind, Interesse für ihre Themen zu wecken. Selbst mit einigen Abstrichen zeigt Martin Suter mit Der Koch mal wieder seine ganze Klasse.
Frank Rumpel
Martin Suter: Der Koch. Roman.
Zürich: Diogenes 2010. 312 Seiten. 21,90 Euro: