Geschrieben am 9. März 2009 von für Bücher, Litmag

Matthias Keidtel: Das Leben geht weiter

„Rudower Arschloch“

Keidtel liefert seinen Helden, dem er so lange die Stange gehalten hat, in dieser Fortsetzung gnadenlos ans Messer, ärgert sich Tina Manske.

Immerhin eines hat Matthias Keidtel schon geschafft: er hat ein eigenes Romangenre etabliert. Der hier vorliegende zweite Teil seiner „Trilogie des modernen Mannes“ ist die erste Veröffentlichung, die offiziell dem Genre „Holm-Roman“ zugeschrieben wird. Ein Holm-Roman, das ist ein Roman, der von Felix Holm handelt, so wie Ein Mann wie Holm (Zur Rezension vom 1. Oktober 2006), das Buch, das Keidtel mit einem Schlag berühmt und bei den Kritikern beliebt machte. Nun, zwei Jahre später, ist es also Zeit, dass das Leben auch für Holm weitergeht, und wer das erste Buch gelesen hat, wird sich nicht lange bitten lassen, die Fortsetzung in Augenschein zu nehmen. Felix Holm, mittlerweile 38 Jahre alt, ist, nachdem er eine Zeit lang bei seiner Tante gelebt und seine erste und einzige Beziehung zu einer Frau an die Wand gefahren hat, wieder zu seinen Eltern gezogen, in das alte Kinderzimmer. Noch immer hängen dort die Reinhard-Mey-Poster an der Wand (Holm war und ist ein großer Fan), und Holm hat plötzlich die Idee, nach Orléans zu fahren, von dort Samen der Reinhard-Mey-Rose mitzubringen und hierzulande mit einer eigenen Zucht zu beginnen.
Wie es aber Holms Art ist, strandet er bereits, bevor er die Grenzen Berlins überhaupt überschritten hat – eine Gleisstörung wirft seine Pläne durcheinander, und er beschließt, sich für eine Woche in einem Berliner Hotel einzumieten, um nicht unverrichteter Dinge als Loser zu seinen Eltern zurückkehren zu müssen, die ihn in Frankreich auf Karrierepfaden vermuten. Mitten in Mitte lernt er so den Lebenskünstler Elie Glick kennen, der ihm die schönen Seiten des Lebens zu zeigen bereit ist, unter anderem ein Stripteaselokal, in dem Holm später als Türsteher (!) arbeiten und sich in die Barfrau verlieben wird. Bei all diesen Abenteuern lässt er uns die Welt wieder einmal durch die Brille des naiven Nichtsnutzes betrachten.

Erschreckende Ernüchterung

So weit, so holmtypisch. Doch was einen für den ersten Roman so einnahm, insbesondere, dass der Erzähler Holm bei aller Weltfremdheit immer seine Würde behielt, wird von Matthias Keidtel über Bord geworfen und das Kind mit dem Bade gleich mit. Das Ergebnis ist erschreckende Ernüchterung: Felix Holm erscheint als ein unerträgliches, reaktionäres, passiv-aggressives Rudower Arschloch.

Was den Humor angeht, so übertreibt es Keidtel diesmal so sehr, dass er die Schraube überdreht. Einige gelungene Passagen gibt es auch diesmal, darunter der Besuch Holms’ mit Wunschpartnerin bei seiner Tante und das Einstellungsgespräch als Türsteher. Ganz plötzlich blinkt da der uneitle Witz Keidtels auf, und man denkt sich: er kann es ja doch noch! Aber diese Gelegenheiten sind leider viel zu selten, meist überwiegen die Ärgernisse. Die Passage, in der Holm mittels Navigationsgerät im Auto unterwegs ist und über die Herkunft der einschmeichelnden weiblichen Stimme spekuliert, ist einfach unterirdisch – man möchte das Buch in die Ecke pfeffern, so wütend machen einen diese Seiten. Keidtel tut hier nichts anderes, als seinen Helden, dem er so lange die Stange gehalten hat, gnadenlos ans Messer zu liefern, und das alles für ein paar billige Lacher aus der Brigitte-Redaktion. Pfui Deibel!

Es drängt sich der Verdacht auf, dass ein Naivling wie Holm – so wunderbar geeignet er auch für einen Roman war – eben nicht über die Distanz einer Trilogie trägt.

Tina Manske

Matthias Keidtel: Das Leben geht weiter. Ein Holm-Roman. Manhattan Verlag 2009. Gebunden. 368 Seiten. 16,95 Euro.

Zur Vita von Matthias Keidtel