Geschrieben am 26. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Max Aub: Jusep Torres Campalans

Ein exquisites Schelmenstück

Das Buch war eine Sensation – und ein Riesenschwindel, ein ungeheures Fake, das bis heute für zündenden Diskussionsstoff sorgt. Max Aub hatte die Biographie von A-Z erfunden und einen avantgardistischen Coup sondergleichen gelandet. Ihm ist es, wie Mercedes Figueras in ihren Nachwort schreibt, „gelungen, mit dem Wort die Wirklichkeit umzuwerten und damit eines, wenn nicht das große Grundthema der modernen Kunst auf eine neue, überraschende Weise in Szene zu setzen: die Spannung zwischen Fiktion und Realität.“

1960 erschien in Paris ein Buch, das die Feuilletons der Welt und die Kunstszene in helle Aufregung versetzte: Es handelte sich um die Biographie des Jusep Torres Campalans, der, wie in diesem Buch ausgeführt wurde, ein entscheidender Mitbegründer des Kubismus und enger Weggefährte Picassos gewesen war. Der Autor Max Aub hatte offensichtlich – ausgelöst durch eine zufällige Begegnung in Mexico – sorgfältig recherchiert und untermauerte den wissenschaftlichen Anspruch mit prominenten Zeitzeugenaussagen von George Braque bis André Malraux, mit einem beeindruckenden Fußnotenapparat, einem sorgfältig geflochtenen Netz aus historischen, politischen, technischen und künstlerischen Fakten, Photos, einem dokumentarischen Anhang sowie einer Vielzahl von Schwarz-Weiß-Zeichnungen und Farbdrucken aus dem Werk des kubistischen Malers Jusep Torres Camaplans.
Das Buch war eine Sensation – und ein Riesenschwindel, ein ungeheures Fake, das bis heute für zündenden Diskussionsstoff sorgt. Max Aub hatte die Biographie von A-Z erfunden und einen avantgardistischen Coup sondergleichen gelandet. Ihm ist es, wie Mercedes Figueras in ihren Nachwort schreibt, gelungen, mit dem Wort die Wirklichkeit umzuwerten und damit eines, wenn nicht das große Grundthema der modernen Kunst auf eine neue, überraschende Weise in Szene zu setzen: die Spannung zwischen Fiktion und Realität.

Max Aub leitet die Biographie über Jusep Torres Campalans mit einigen Notwendigen Vorbemerkungen ein. Hier erzählt er über seine zufällige Begegnung mit Campalans, der sich nahe des mexikanischen Chiapas in ein kleines Dorf zurückgezogen hat, dort zusammen mit einer Einheimischen in einer palmblattgedeckten Hütte lebt und ansonsten nichts tut: Er will nicht über die Vergangenheit reden. Seltsamer Kerl. Ein Original, so heißt es hier. Max Aub nimmt die Spur auf und bekommt vom bekannten Kunsthändler Jean Cassou schließlich ein Notizheft sowie eine Ausstellungskatalog des vergessenen Malers ausgehändigt – das Werk kann, nach einigen selbstkritischen (und in Kenntnis der Sachlage natürlich schalkhaft lachenden) Bemerkungen beginnen:

Eine Biographie zu schreiben ist für jemanden, der Romancier und Theaterautor ist, eine gefährliche Sache. Die Person ist vorgegeben und im Hinblick auf die Zeit kann er sich keine Freiheiten erlauben. Damit das Werk zu dem wird, was es sein soll, muß er sich eng an seinen Protagonisten halten, seinen Fall erklären, muß ihn obduzieren, ein Krankenblatt anlegen, die Diagnose stellen. Persönliche Interpretationen, diese Quelle des Romans, sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Die Einbildungskraft mit Handschellen fesseln, sich allein auf das beschränken, was war. … Ich schrieb meinen Bericht, griff auf andere zurück, sah von mir selber ab und versuchte, soweit das möglich war, die Wahrheit einzugrenzen; was für eine Illusion.

Bevor Max Aub auf Campalans selber eingeht, entwirft er ein skizzenhaftes Bild der Epoche, verdeutlich noch einmal das historisch-kulturelle Ambiente mit seinen avantgardistischen Diskursen und bohemhaften Lebenszirkeln am Montmartre – eine prickelnde Atmosphäre des Aufbruchs, des Experiments, der waghalsigen Grenzgänge.

Jusep Torres Campalans selber wurde der Biographie zufolge am 2. September 1886 im (spanischen) Mollerussa geboren – ein schwarz-weiß-Foto zeigt dokumentierend seine Eltern, in einfachster Kleidung und vom harten Leben auf dem Lande gezeichnet. Schon früh war Jusep groß, kräftig, hatte große, dunkle Augen, riesige Hände und ebensolche Füße, und in ihm steckte die Kraft, die nur die Erde dem verleiht, der in unmittelbarer Beziehung zu ihr lebt oder gelebt hat. Mit achtzehn Jahren lernt der als Schreiber in einer Anwaltskanzlei beschäftigte Jusep bei einem Ausflug nach Barcelona den jungen Pablo Ruiz alias Pablo Picasso kennen, der ihn schließlich zwecks Entjungferung in ein Bordell führt – aus dieser Episode sollte dann später eines der berühmtesten Gemälde der modernen Kunst, nämlich Les Demoiselles d’Avignon entstanden sein. Der junge Picasso führte den kleinen Bauernjungen jedoch nicht nur in die Bordell-, sondern auch in die zwischen Katholizismus und revolutionären Gesinnungen hin- und herpendelnde Künstler- und Intellektuellen-Szene ein. Jusep Torres Campalans wird Anarchist und flieht vor seiner Musterung nach Paris. Hier betritt er zum ersten Mal den Louvre „und nach zwei Monaten hatte er, Sonntag für Sonntag, systematisch die zweitausend und etwas numerierten Bilder betrachtet“ und seine Favoriten ausgewählt. Er kaufte sich fünf Stifte und drei Blatt Papier und fing selber an zu zeichnen, später auch zu malen. Doch ob man sein Werk verstehen würde oder nicht, das kümmerte ihn in seiner amoralischen Reinheit nicht.

In knappen und nichtlinearen Szenen rekonstruiert Max Aub das Leben von Campalans, läßt Bataillone von mehr oder minder bekannten Gestalten aus dem Anarchisten- und Künstler-Milieu parlieren und schildert mit wenigen Strichen das Boheme-Leben. Zentral ist aber das Wiederaufleben der Freundschaft mit Picasso, die lang und fruchtbar werden sollte. Mit Spannung hören wir dabei Gespräche aus dem Brutkasten des Kubismus:

Der Mensch muß auf schnellstem Wege zum Maß der Dinge zurückkehren, und die Dinge zum Maß des Menschen. Denn die Dinge entgleiten uns, deshalb müssen wir sie, um sie messen zu können, zerbrechen, zerstören, zerschlagen, müssen mit der Wüste beginnen.‘ Pablo sah ihn mit seinen vorstehenden Teufelsaugen an, ohne sich voreilig festzulegen. ‚Es muß eine Malerei erfunden werden, hörst du, erfunden werden, die wirklich nach dem Maß des Menschen ist. Was die anderen tun, ist doch nur ein sinnloses Kopieren, das gilt selbst für Vlaminck, Matisse oder Rouault. Sie riechen, daß etwas in der Luft liegt, aber sie wissen nicht was.

Im engen Kontext seines enthusiastischen Kunstaufbruchs – Mit Dynamit malen, die Leinwand explodieren lassen– stehen Jusep Torres Campalans zugleich sozialrevolutionär und katholizistisch angehauchten Utopien – diese zerplatzen jedoch mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges und der Maler zieht sich enttäuscht in die Einsamkeit Mexicos zurück, wo er von seiner Vergangenheit Abstand nimmt und von den Berg-Indios fast wie ein Heiliger verehrt wird.

Nach dieser durch Max Aub rekonstruierten Biographie, lernen wir Jusep Torres Camapalans auch noch aus seiner eigenen Perspektive, nämlich durch seine tagebuchähnlichen Aufzeichnungen im Grünen Heft kennen. Neben einigen verqueren und mystisch angehauchten Gedankengängen und Alltagsbeobachtungen formuliert er hier auch aufschlußreiche ästhetische Fragmente oder Aphorismen und bringt dabei noch einmal die kubistische Utopie auf den Punkt – nämlich „die Gegenstände aus der Sicht Gottes (zu) malen, der tausend Augen hat. Doch schlußendlich, in seinen Gesprächen mit Max Aub in San Christobal, muß Jusep Torres Campalans selbstkritisch resümieren: Kurz und gut, als Maler war ich eine Pleite.

Max Aubs Jusep Torres Campalans stellt eine gleichermaßen faszinierende wie augenzwinkernde Krönung der experimentellen Verfahrensweisen der historischen Avantgardebewegungen wie Dadaismus, Futurismus und Surrealismus dar. Die immanent wie ein vielperspektisch kubistisches Gemälde aufgebaute Biographie ist – trotz des stellenweise gewaltig spröden (pseudo-)wissenschaftlich-historischen Beiwerks – ein Leckerbissen, den sich literarische Feinschmecker nicht entgehen lassen sollten.

Zur Person und Bibliographie:

Am 2. Juni 1903 wurde Max Aub als Sohn eines wohlhabenden Deutschen und einer Französin in Paris geboren. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges muß die Familie Paris verlassen und siedelt nach Valencia um. Max nimmt nach seinem Abitur mit den europäischen Avantgardistenzirkeln Tuchfühlung auf, schreibt Gedichte und interessiert sich für die Bühnen-Theorien von Brecht, Piscator und Copeau. Er lernt Luis Bunuel kennen, mit dem ihm eine lebenslange Freundschaft verbinden wird, aber auch Ernest Hemingway, André Malraux und Gustav Regler.

Mit Francos Militärrrvolte gegen die republikanische Regierung im Juli 1936 beginnt für Max Aub eine Odyssee, die ihn über faschistische Internierungslager in Frankreich und Algerien 1942 schließlich bis in das mexikanische Asyl führt. Dazwischen drehte er mit André Malraux noch inmitten der spanischen Bürgerkriegswirren den Film Sierra de Teruel. In Mexico schreibt Max Aub unter anderem „Das magische Labyrinth, einen sechsteiligen und als Guernica der Literatur gerühmten Romanzyklus über den spanischen Bürgerkrieg.

Karsten Herrmann

Die Werke von Max Aub werden von Eichborn Berlin herausgegeben. Bisher erschienen:

Die besten Absichten (1996)
Der Mann aus Stroh. Erzählungen (1997)
Jusep Torres Campalans (1997)

Aus dem „Magischen Labyrinth, dessen Edition bis Herbst 2002 abgeschlossen sein soll, liegen bisher folgende Bände vor:

Nichts geht mehr
Theater der Hoffnung
Blutiges Spiel