Geschrieben am 30. Mai 2015 von für Bücher, Crimemag

Miami Blues – Neue Formen des Hässlichen

Alf_MayerAlf Mayer

– Ein Roman ist eine Fallstudie; die Fallstudie des Schreibers, und wenn er ehrlich geschrieben ist, wird er im Schweiß und in den Tränen des Künstlers gebadet sein. „Künstler“ ist ein selten zu verwendendes Wort. Es gibt Autoren, die Künstler in dem Sinne sind, wie ein Hersteller von Strapsgürteln ein Künstler ist. Wenn man zehn Strapsgürtel bestellt, bekommt man zehn Strapsgürtel. Wenn man eine Liebesgeschichte in der Länge von 3.000 Worten bestellt, wird man von einem guten Handwerker eine bekommen. Oder zehn.

Ein Roman ist die Fallstudie eines Autors. Es ist die Geschichte seines Lebens, so gut, wie er sie nur schreiben kann. Sie hört nie auf; sie geht weiter, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Er ist sein eigener Held, seine eigene Heldin, sein Bösewicht, seine kleinen Charaktere – die Gedanken eines jeden einzelnen von ihnen sind seine eigenen Gedanken, wie immer verschlungen, aus seinem lebendigen Leib gewühlt, ihm im bewussten oder unbewussten Zustand entrissen. Er schreibt, weil er muss, denn als Autor zu versagen, wäre als Mensch zu versagen. Jener Autor, der das Leben interpretieren kann, sein eigenes Leben, nicht mit Worten, sondern mit der Sprache, ist ein Künstler. Keine Wortfabrik.

miamii Blues paperback US 84So schreibt Willeford 1953 über „Writing as an art“ und fährt fort:
„Als ich zu schreiben begann, war das zuerst ein Akt der Verzweiflung. Es war eine blinde Suche, und am Anfang führte jeder Weg, den ich einschlug, in eine dunkle Höhle. Es war eine Suche mit meinem Bewusstsein, anstatt mit meinem Herzen. Ich versuchte Stil auf Stil, schrieb kraftlose Imitationen der Männer, die ich verehrte: Thomas Wolfe, Joyce, Kafka, Hemingway. Natürlich waren meine Worte bleich, bedeutungslos. Besser hätte ich das Papier im Badezimmer benutzt. Ich machte Fernkurse, ich schloss mich Autorenclubs an, Kurzgeschichtenkursen, wo wir uns unsere Ergebnisse vorlasen. Es war schrecklich. Ich verlor alle Hoffnung. Ich erreichte den Punkt, an dem ich mich nicht länger darum kümmerte, was Leute über mein Schreiben dachten. Das war der Punkt, an dem ich zu schreiben begann …
Ich schrieb zehn Jahre lang, bevor ich eine einzige Zeile verkaufte. Nur wenn man die Tiefen der Verzweiflung erreicht, findet sich der Mut zum Weitermachen. Zwei Wochen, nachdem ein sehr bekannter New Yorker Agent mir ein langes Romanfragment mit den Worten zurücksandte, „Ich kann Sie nicht ermutigen, mir weiteres Material zu senden“, verkaufte ich meinen ersten Roman.“ (Es war 1953 ,„High Priest of California“.)

Ultracool

Off the Wall Cover innenWilleford war ultracool und 65 Jahre alt, als „Miami Blues“ im März 1984 bei St. Martin’s Press in New York herauskam. Er hatte ein breites und unverbittertes Leben gelebt, mit Les, dem jüngeren Bruder Hemingways, die besten Partys Miamis geschmissen, war wegen seines Humors und seiner wilden Geschichten ein geschätzter Umgang. Eigentlich wollte er das Buch „Kiss Your Ass Good-bye“ taufen, konnte aber den Titel in New York nicht durchsetzen. Es war sein zwölfter Roman und sein drittes Hardcover in fast 40, bislang nicht sonderlich erfolgreichen Schriftstellerjahren.

ketzerei in orangeEin Jahr zuvor hatte er die deutlich jüngere Betsy Poller geheiratet (von der ich das mit den Partys habe), überhaupt wollte er es noch einmal wissen. Und er wusste, was einen Kriminalroman ausmacht. Anfang der Sechziger war er „assistant editor“ für das „Alfred Hitchcock Mystery Magazine“ gewesen, als die ihre Büros auf Miamis Singer Island hatten. Seit 1968 hatte er über 700 Krimi-Rezensionen für den „Miami Herald“ verfasst, besprach lieber neue Autoren als die Bestsellerlisten. Seit 1974 unterrichtete er am Miami-Dade Community College Literatur, zusammen dem zum engen Freund gewordenen James Lee Burke (siehe dessen Nachruf auf Willeford exklusiv bei CM).

Willefords beiden letzte Romane hatten mit den Konventionen des Genres gespielt. Sie verkauften sich nicht. Gemeint sind „Cockfighter“ (Hahnenkampf) von 1962 und „The Burnt Orange Heresy“ von 1971 (Ketzerei in Orange). Auch „Off the Wall“, das Sachbuch von 1980 über den Polizisten, der den „Son of Sam“-Killer David Berkowitz stellte, war ein Flop gewesen.

new forms of ugly großlKafka und Hoke

Nun also „Miami Blues“, und Willeford warf sein ganz Leben in dieses Buch. Nicht, dass man dem Ding das anmerken würde. Alle Willeford-Themen sind hier versammelt, all sein Sinn für das existentialistisch Absurde, das zeitlebens sein Thema und 1964 Inhalt seiner Magisterarbeit gewesen war. Ihr Titel: „New Forms of Ugly. The Immobilized Hero in Modern Fiction“. Neue Formen des Hässlichen und den stillgelegten Helden machte Willeford bei Dostojewski, Beckett, Chester Himes und Kafka aus. Überhaupt Kafka. Er kannte ihn in- und auswendig, träumte von einem Journal namens „Kafka Quarterly“. Seine älteste Buchbesprechung, so erzählte mir sein Biograf Don Heron, war 1959 Kafkas „Beschreibung eines Kampfes“ gewesen. Hätte Kafka in Miami gelebt und Kriminalromane geschrieben, wären ihm Freddy und Hoke nicht fremd gewesen.

(Zu Willefords Vorliebe für das Absurde und dessen Wurzeln in seinen Kriegserfahrungen bald hier mehr.)

Zu den Beiträgen von Alf Mayer bei CulturMag.
Charles Willeford: Miami Blues (Miami Blues, 1984). Der erste Hoke-Moseley-Fall. Roman. Deutsch von Rainer Schmidt. Mit einem Gespräch mit Charles Willeford und John Keasler (dt. von Jochen Stremmel) und einem E-Mail-Wechsel von Jon A. Jackson und Jochen Stremmel. Berlin: Alexander Verlag 2015. 167 Seiten. 14,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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