Der Schriftsteller Houellebecq ermordet sich selbst
– Mit „Karte und Gebiet“ streift Michel Houellebecq das Etikett des Skandalautors ab und präsentiert sich als gereifter Romancier. Auf der Folie von Kunst und Kommerz bürstet er Zeit und Gesellschaft jedoch abermals gegen den Strich und beschwört als postmoderner Décadent die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit aller Anstrengungen. Von Karsten Herrmann.
Die Hauptfigur in Houellebecqs Roman ist der Künstler Jed, ein weitgehend eigenschaftsloser und vom Wirbel des Weltgeschehens unberührter Mann. Er begann seine Künstlerlaufbahn „mit dem ausschließlichen Ziel … eine objektive Beschreibung der Welt zu liefern“. Zu einer ästhetischen Offenbarung werden für ihn die Michelin-Karten Frankreichs, auf deren technisch raffinierter Reproduktion sich sein Durchbruch als Künstler gründet. Er beginnt eine Affäre mit Olga, der PR-Chefin von Michelin, und findet Zugang zur Pariser Schickeria und Kunstszene, die unter anderem auch von Frédéric Beigbeder bevölkert ist.
Nach einer langen Schaffenspause beginnt Jed eine „Serie einfacher Berufe“, die er mit dem Bild „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“ abzuschließen gedenkt. Sein Ziel ist es, „mit den Mitteln der Malerei die Mechanismen zu beschreiben, die zum Funktionieren einer Gesellschaft beitragen“.
Für den Ausstellungskatalog fragt er auf Anraten seines Galeristen den „Skandalautor“ Michel Houellebecq an, der nach einer Scheidung so gut wie pleite in einem leeren Bungalow im irischen Shannon lebt – und so bringt der Autor sich selbst ins Spiel und liefert dem Leser eine wunderbare Selbst-Persiflage mit giftigen Spitzen gegen die Presse und die Literaturkritik. Als Honorar porträtiert Jed den Schriftsteller, der als Symbol für ein müdes und zum Scheitern verurteiltes Zeitalter auftritt. Zur Vernissage versammeln sich die reichsten Kunstsammler der Welt und treiben die Preise für Jeds Werke in den aberwitzigen Millionenbereich.
Schalkhafte Persiflage
Doch dann wird der „Schriftsteller M.H. auf brutale Weise ermordet“ und der mit Leichenteilen übersäte Tatort gleicht einem Werk des ab-strakten Expressionisten Jackson Pollock. So tritt der Roman in seine kriminalistische Phase ein: Was hat Jed mit dem Tod von Houellebecq zu tun und wo ist das Porträt des Schriftstellers geblieben? Am Schluss wartet der Autor tatsächlich mit einer spektakulären Auflösung seiner literarischen Ermordung auf.
„Karte und Gebiet“ ist ein vielschichtiges und geschickt komponiertes Buch über die Kunst und den Kunstmarkt, über die Kunstfigur Michel Houellebecq sowie über eine zerrüttete Gesellschaftsform. So weht auch hier der Wind des Nihilismus und ein spöttisch-ironischer Ton durch die Seiten, aber nur noch wie fernes Donnergrollen ist der beißende Sarkasmus und das provokant Diskriminierende der früheren Bücher von Houellebecq zu hören.
Ein abgeklärter, souveräner Roman, in dem der Autor zu großer literarischer Form aufläuft und intensive Einblicke in künstlerische Prozesse und Konzepte sowie ihrer gesellschaftlichen Konnotationen gibt. Fast schalkhaft blendet der Autor dabei sein persifliertes Spiegelbild in das Romangeschehen ein und lässt so sogar Humor und Lust am Spiel erkennen.
Karsten Herrmann
Michel Houellebecq: Karte und Gebiet (La carte et le territoire, 2010). Aus dem Französischen von Uli Wittmann. Köln: DuMont Verlag 2011. 416 Seiten. 22,99 Euro. Der Autor im Interview (Video). Zur Homepage von Houellebecq.