Jahrhundertealte Diskreditierung
Dass die abendländische, patriarchale Kultur das weibliche Geschlechtsorgan über Jahrhunderte verschwiegen und im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln gehalten hat, dürfte weitgehend bekannt sein, Sanyal aber legt akribisch dar, welch beträchtlicher Aufwand dafür betrieben wurde. Von Tina Manske
Selbst aufgeklärten Frauen des 21. Jahrhunderts fehlen die Worte, wenn sie über ihr Geschlecht sprechen. Formulierungen wie ‚das da unten‘ oder ‚zwischen den Beinen‘ sind immer noch an der Tagesordnung, wenn’s hoch kommt nimmt man auch schonmal das Wort ‚Muschi‘ in den Mund, klingt ja auch irgendwie niedlich. ‚Fotze‘ dagegen, das ist für die Männer reserviert, die Frauen diskreditieren wollen. Im medizinischen Kontext ist der Name ‚Vagina‘ angesagt, obwohl er nur die Scheide bezeichnet, das Gesamtorgan also auf eine Funktion und einen Teil von vielen – nämlich die Öffnung – beschränkt. Wenn es daran geht, Vulven zu malen (Sanyal hat es ausprobiert), scheitern die meisten Frauen, während ein Penis locker hingepinselt (!) wird.
King Cunt
Warum das so ist, warum das weibliche Sexualorgan so eine verhüllte und verschämte Existenz fristet, dieser Frage geht Mithu M. Sanyal in einer spannenden Untersuchung über die Jahrhunderte nach und bewegt sich dabei sowohl auf kulturgeschichtlicher wie auch sprachgeschichtlicher Ebene. Etymologisch zum Beispiel ist das heftigste Schimpfwort der englischen Sprache – cunt – eng mit queen, king und country verwandt. Ändert’s was, die Sprache bestimmt das Bewusstsein? Ja, warum nicht, man muss die Gesellschaft nur permanent im Nacken packen und ihre Nase in ihre eigenen Ausdünstungen hineinstoßen.
Dass die abendländische, patriarchale Kultur das weibliche Geschlechtsorgan über Jahrhunderte verschwiegen und im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln gehalten hat, dürfte weitgehend bekannt sein, Sanyal aber legt akribisch dar, welch beträchtlicher Aufwand dafür betrieben wurde. War zu heidnischen Zeiten das Zeigen der Vulva noch mit Glücksversprechen verbunden und Teil ritualisierter Festlichkeiten, so machten die christlichen Glaubensväter Schluss mit der Wertschätzung der Vulva. Die Kränkung nämlich, dass es am Ende doch Frauen sind, die die Kinder gebären, sitzt offensichtlich tief, weshalb die Kirche ein ganzes Brimborium von mit Weihrauch umhüllten Patern (die natürlich männlich sein müssen, damit’s weihevoll wird) in Frauenkleidung auffährt, die die Kindlein dann so richtig auf die Welt bringt – qua Taufe. Noch heute wird ein gewisser Sigmund Freud dafür bewundert, dass er in Frauen nichts weiter als kastrierte Männer sah, was man ihm gerne nachplappert. Das hat sich festgesetzt in den Köpfen.
Mit Spekulum zum Muttermund
Doch wo jahrhundertelang nichts war, soll wieder etwas sein, etwas Wunderbares, und Mithu Sanyals empfehlenswerte und aufrüttelnde Abhandlung könnte so etwas wie eine neue Initialzündung dazu sein. Man kann viele Entdeckungen machen in diesem Buch, man kann auch sehr wütend werden beim Lesen. Man bekommt auf der anderen Seite aber auch jede Menge mutmachende Beispiele von Frauen, die ihren Körper in den Dienst der Kunst stellten, so wie Annie Sprinkle, die in ihrem „Public Cervic Announcement“ die Leute dazu aufforderte, sich mittels Spekulum und Taschenlampe ihren Muttermund anzuschauen, oder Carolee Schneemann, die 1975 mit ihrem fulminanten „Interior Scroll“ Aufsehen erregte, bei dem sie aus ihrer Vulva einen langen Zettel hervorzog und den darauf befindlichen körperpolitischen Text vorlas. Anders als mit solch visueller und sprachlicher Wucht und Wiederaneignung wird es auch weiterhin nicht gehen, wenn der jahrhundertealten Diskreditierung der Vulva etwas entgegengesetzt werden soll.
Tina Manske
Mithu M. Sanyal: Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Wagenbach, Berlin 2009. Gebunden mit Schutzumschlag. 240 Seiten mit vielen Abbildungen. 19,90 Euro / 34,90 sFr.