Geschrieben am 13. August 2014 von für Bücher, Musikmag

Mohr Books: Books about Music mit Dana Spiotta, Michael Chabon, Jonathan Lehem

fear of musicEin verlässlicher, stets im Sommer wiederkehrender Topos in beinah allen Magazinen ist die Urlaubslektüre. Zu erfahren bzw. zu verbreiten, wer was wann wo gelesen hat und weiterempfiehlt (oder davor warnt), wird offenbar nie langweilig – und auch wir schließen uns fröhlich an. Von Christina Mohr.

Dana Spiotta_Gloreiche TageGlorreiche Tage

In den vergangenen heißen, sonnigen Wochen hat mich besonders Dana Spiottas Roman „Glorreiche Tage“ erfreut. Man darf Thurston Moores backflap endorsement „Purer Rock’n’Roll“ allerdings nur bedingt vertrauen, weil Spiotta zwar auch über Rock’n’Roll schreibt, vor allem aber gegen das Vergessen anschreibt. Hauptfigur von „Glorreiche Tage“ ist Nik Worth, ein unfassbar produktiver, aber publikumsloser Folkmusiker aus Los Angeles, der parallel zu seinem enormen musikalischen Output umfangreiche Chroniken verfasst – will sagen: er schreibt zahllose Rezensionen, Artikel, Künstlerporträts über sich selbst und archiviert diese akribisch.

Er ist der alleinige Star in seinem hermetischen Universum, aufgetreten ist er indes seit 25 Jahren nicht mehr. Die Welt „da draußen“ interessiert ihn nicht und es bleibt den LeserInnen überlassen, die Gründe dafür herauszufinden. Erzählt wird Niks Geschichte von seiner Schwester Denise, 47 Jahre alt und damit für sich selbst unfassbarerweise in den „mittleren Jahren“ – die beginnende Demenz ihrer Mutter beängstigt Denise so sehr, dass sie fortwährend ihre eigene Gedächtnisleistung kontrolliert und bei geringsten Aussetzern und Vergesslichkeit in Panik gerät.

Denises Tochter Ada ist Dokumentarfilmerin in New York und befasst sich also auch mit Erinnerungsarbeit – ihr größtes Projekt ist eine Doku über ihren Onkel Nik, der dem Film sein ganz eigenes Ende verpasst, das an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird.

Spiotta findet für jede ihrer Figuren eine eigene Sprache, ohne sich zu verzetteln. Der Roman ist eine Liebeserklärung (mit angemessen verteilten Ecken, Kanten und Spitzen) an eine ganz normale dysfunktionale Familie, die Vergangenheit und die Zukunft – und natürlich, Glory Days!, an den Rock’n’Roll.

Michael Chabon_Telegraph AvenueTelegraph Avenue

Nicht so richtig reingekommen bin ich in Michael Chabons neues, dickes Werk „Telegraph Avenue“, obwohl es vom Setting ein Poproman par excellence ist: Die Musik-Aficionados Archy und Nat betreiben in Berkeley den Plattenladen „Brokeland Records“, dessen Existenz von einem geplanten Einkaufszentrum bedroht ist.

Wie auch in seinen früheren Romanen „Die Geheimnisse von Pittsburgh“, „Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay“ oder „Wonder Boys“ verwebt der 51-jährige Chabon kulturelle, soziale, politische, menschliche und gesellschaftliche Widersprüche und erschafft ein vielschichtiges, so fantasievolles wie realistisches Bild der U.S. of A. Im Zentrum von „Telegraph Avenue“: Musik, nur die Gute, natürlich. Jazz, Blues, Soul. Daneben, dazwischen, davor, dahinter: das Leben, die Kunst, die Familie, die Kinder, das Geld, die Regierung.

Und dennoch: die quecksilbrig hin- und herhüpfenden Dialoge und die vielen Haupt- und Nebenstränge konnten mich dieses Mal nicht fesseln. Erschöpft, aber gewillt, „Telegraph Avenue“ irgendwann eine zweite Chance zu geben, lege ich den Wälzer zur Seite, um mich einem ungleich schmaleren Band zu widmen:

Lethem_talking headsFEAR OF MUSIC: Ein Album anstelle meines Kopfes

Den britischen Kleinverlag Continuum Books gibt es zwar nicht mehr bzw. ist er von Bloomsbury übernommen worden. Vor ein paar Jahren startete Continuum mit 33 1/3 aber eine der schönsten Pop-Nerd-Reihen aller Zeiten. Die Idee: eine Platte = ein Buch, verfasst von namhaften AutorInnen, vorwiegend, aber nicht zwangsläufig MusikjournalistInnen. Die Reihe begann 2003 mit „Dusty in Memphis“ und ist inzwischen (unter Bloomsbury-Flagge) bei Titel Nr. 97 angelangt (Kanye West, „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“, vorgestellt von Kirk Walker Graves), ein Ende ist bisher nicht in Sicht.

Titel Nr. 86, im Original 2012 erschienen, befasst sich mit dem mutmaßlich wichtigsten Album der Talking Heads, „Fear of Music“ von 1979. Autor des Buches: Jonathan Lethem. Kann es noch newyorkisher werden? Wahrscheinlich nicht. Lethem beschreibt sein eigenes Hörerlebnis als 15-jähriger, taucht gleichzeitig tief in die Postpunk-Historie ein und versetzt das Ganze mit jeder Menge literarischer und filmischer Verweise.

Das Ergebnis ist pop in itself. Wer die Platte nicht kennt, wird sie sich sofort besorgen wollen; wer sie besitzt und länger nicht gehört hat, holt sie sofort hervor (und bemerkt wie Lethem, dass die Riffelung des Plattencovers ein wenig abgeschabt ist und das monochrome Schwarz der späten Siebziger aufgehellt). „Fear of Music“ markiert den Übergang der Talking Heads von der New Wave- zur Funkband, die Rhythmik wird komplexer, tanzbarer. Rock, Punk und Disco schrauben sich ineinander. Die Lyrics reichen von Dada („I Zimbra“ – durch diesen Song hört Brooklyn Boy Jonathan Lethem zum ersten Mal von Hugo Ball, Pop bildet also!) bis bitterböser Gesellschaftskritik („Life During Wartime“), produziert wurde das Album von Brian Eno.

Das Tolle an dieser Reihe (man kann nur hoffen, dass der Tropen Verlag noch weitere Titel übersetzen wird) ist die Würdigung des Albums als absichtsvolle Einheit bzw. aus ungefähr zehn Einzelteilen entstehende Einheit – ein scheinbarer Anachronismus in Zeiten des One-Track-Download. Angesichts der obsessiven Beschäftigung des Teenagers Lethem mit seiner über alles geliebten Langspielplatte mitsamt ihrem Cover, den Lyrics, Linernotes, Credits, etc., der Einswerdung des Fans mit der Musik (der jugendliche Lethem liebt „Fear of Music“ so sehr, dass er das Album anstelle seines Kopfes tragen würde, damit man seine Hingabe schon von Weitem sieht), erkennt man den Verlust, der durch pures Hit-Spotting entsteht.

Postscriptum: Die Beschäftigung mit einem Album als Wegmarke, Meilenstein, Wendepunkt oder schlicht Lieblingsplatte ist zurzeit auch hierzulande wieder okay, siehe Blumfelds Reuniontour anlässlich des 20. Geburtstags von „L’Etat et Moi“ (siehe auch: aktuelle Ausgabe der SPEX).

Post-Postscriptum: Weiterleseempfehlung nach Lethems Liebeserklärung an die Talking Heads: „Love Goes to Buildings on Fire. Five Years in New York That Changed Music Forever“ von Will Hermes. Faber and Faber, Inc., 2011. Noch nicht auf Deutsch erschienen

Christina Mohr

Dana Spiotta: Glorreiche Tage. Übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Berlin Verlag, 2014. Gebunden mit Schutzumschlag. 252 Seiten. 19,99 Euro. Zur Homepage von Dana Spiotta.

Michael Chabon: Telegraph Avenue. Übersetzt von Andrea Fischer. Kiepenheuer & Witsch, 2014. Gebunden mit Schutzumschlag. 590 Seiten. 24,99 Euro.

Jonathan Lethem: Talking Heads FEAR OF MUSIC. Ein Album anstelle meines Kopfes.Übersetzt von Johann Christoph Maass. Tropen Sachbuch 2014.174 Seiten. 17,99 Euro.

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