Geschrieben am 4. September 2013 von für Bücher, Kunst, Litmag

Mohr Music: Glam, Kunst und queere Mode

Ein „Mohr Music“-Glam-Spezial zur Frankfurter Schirn-Ausstellung „Glam. The Performance of Style“ und drei Neuerscheinungen rund um Mode, Kunst und Glamour.

Pih_Clayton_Hollein_glamGlam Yourself!

Noch bis Ende September läuft in der Frankfurter Schirn die Ausstellung „Glam. The Performance of Style“, die zuvor in Liverpool zu sehen war. Kurator Darren Pih will anhand der Exponate – angefangen mit Bryan Ferrys und Brian Enos Bühnenoutfits über Andy Warhols Filme und Fotos von Nan Goldin – zeigen, dass Glam als popkulturelles Phänomen bedeutender und offener war als Punk.

Diese Behauptung mag angesichts schriller Make-up-Kreationen auf den Gesichtern exaltierter Drag Queens und den notorischen Plateauschuhen, Federboas und Glitzeranzügen jener Zeit (wir befinden uns in den frühen 1970er Jahren) zunächst verwundern, wird aber bei näherer Betrachtung völlig verständlich. Denn im Gegensatz zu Punk – der ja im Übrigen auch ein Kind des Glam ist – war Glam trotz (oder wegen) aller outrageousness eine sehr tolerante, alle Individuen einladende Bewegung. Glam verhieß: leg ein bisschen Lidschatten auf (nein: leg VIEL Lidschatten auf!) und komm‘ mit! Du wirst dich besser fühlen mit Lippenstift und Glitzer (no more flowers) im Haar! Sei ein Star!

Viele ehemalige Hippies und andere Suchende der Sechziger machten hingebungsvoll glamouröse Verwandlungen durch: David Bowie, ehemaliger glückloser Folkbarde, wurde erst als androgyner Ziggy Stardust berühmt, Marc Bolan morphte vom Mod zum wildgelockten Sexgott, die Kunststudenten Eno und Ferry gründeten mit Roxy Music die prototypische Glamrockband. Diese kurze Aufzählung verdeutlicht einen wichtigen Punkt: Glam war eine vorwiegend weiße, männliche Angelegenheit. Eigentlich würden auch Little Richard, Sylvester und Jimi Hendrix in die Ausstellung gehören, so Darren Pih, aber man müsse ja schließlich irgendwo beginnen und irgendwo aufhören… die allenthalben als Glam-Rockerin bezeichnete Suzi Quatro machte zwar glammy Hardrock-Pop wie Slade und Sweet, war (und ist!) aber bis auf ihren schwarzen Lederoverall eine eher kumpelige als glamouröse Performerin.

Glam

War Glam also in erster Linie ein Vehikel für hetero- und homosexuelle Männer, sich stylemäßig mal so richtig auszutoben, Maskeraden auszuprobieren – und für Frauen daher weniger interessant/notwendig, weil es Frauen eher gestattet ist bzw. es von ihnen sogar erwartet wird, sich schillernd herzurichten?

Die Ausstellung beantwortet nicht alle Fragen, wirft im Gegenteil sogar viele auf – ist aber gerade deswegen so gut und wichtig, weil man sich mit angeblichen Oberflächlichkeiten auseinandersetzt, die viel tiefer gehen als die Vorurteile erlauben.

„Glam. The Performance of Style“ skizziert den Weg aus den Sixties in Warhols Factory und in die luxuriösen Discotheken wie das Studio 54, zeigt Entsprechungen in der Bildenden Kunst, Mode und Film und feiert kurzgefasst die Extravaganz in jeglicher Form. Wer es nicht nach Frankfurt schafft, sollte sich den Ausstellungskatalog zu Gemüte führen, in dem kluge Texte von u.a. Simon Reynolds, Glenn O’Brien, Judith Watt und Jean-Christophe Amman zu finden sind. Und natürlich viele Fotos!

Henriette Dedichen_Warhols QueensWarhol’s Queen

Ohne (Drag) Queens und Andy Warhols Popart hätte Glam möglicherweise nicht stattgefunden – Warhol selbst inszenierte sich gern und oft als Drag Queen: Make-up und Perücken waren ihm Schutz und Maske zugleich; Warhol fand sich in „natürlichem“ Zustand hässlich, schämte sich für  seine schlechte Haut, große Nase, sein dünnes Haar und richtete seine Aufmerksamkeit und Kameraobjektiv auf diejenigen, die er schön fand. Wirkt Warhol auf „ungeschminkten“ Fotos häufig unbeholfen und schüchtern, ändert sich seine Ausstrahlung in Drag frappierend.

Eine der vielen Obsessionen Warhols waren Königinnen – echte Royals, von Glamour umwölkte Prinzessinnen, Fürstinnen, die er zu Fotoshootings in seine Factory einlud. Seine Einladung angenommen haben zum Beispiel Königin Sonja von Norwegen, Caroline von Monaco und Farah Pahlevi, Gemahlin des Schahs von Persien.

Autorin und Ausstellungskuratorin Henriette von Dedichen führt in dem prächtigen Bildband „Warhol´s Queens“ beides zusammen: Warhol als Queen und seine Fotos von Queens („echten“ Monarchinnen und „künstlichen“ Transvestiten)  – eine originelle Kombination, die (mal wieder) eine neue Facette in Warhols Schaffen betont. Warhol fotografierte die gekrönten Häupter in derselben Weise wie sich selbst und all die ungezählten Popstars: grell ausgeleuchtete Polaroids, -zig Versionen, seriell und doch variationsreich.

SternDie so entstandenen Porträts (sehr süß: Caroline von Monaco in ihren frühen Zwanzigern mit Dauerwelle und Schmollmund) sind gnadenlos und respektvoll zugleich, man merkt den Royals ihre Unsicherheiten ob des ungewohnten Settings an, und doch wirken sie gelöst, als wären sie froh, sich mal nicht im Palast aufhalten zu müssen.

Die New Yorker Drag Queens strahlen Selbstbewusstsein und Street-Glamour aus, Warhol selbst macht auf den Bildern erstaunliche Metamorphosen durch und man erkennt, welch ein Segen, welch eine Verheißung Dragqueening oder -kinging bedeuten kann.

„Warhol´s Queens“ wirkt zunächst wie halt noch ein Buch über Warhol – entpuppt sich aber als einer der tiefsten Einblicke in Person und Werk. Mit Beiträgen von Clément Chéroux, Hubertus Butin, Dietmar Elger, Matt Wrbican und Henriette Dedichen.

Valerie Steele_A queer history of fashionA Queer History of Fashion

Ebenfalls undenkbar ist Glam ohne queer people: Das Klischee vom schwulen Designer hält sich hartnäckig und entspricht ja auch der Wahrheit, nur wäre es langsam an der Zeit, über diese Tatsache ohne spöttischen, despektierlichen Unterton zu reden. Couturiers wie Alexander McQueen, Christian Dior, Yves Saint Laurent, Jean Paul Gaultier oder Jil Sander lieb(t)en ihr jeweils gleiches Geschlecht – was aber bedeutet der queere Einfluss für die Mode genau? Kleiden homosexuelle Männer Frauen anders ein als Heteros, also theoretische Sexpartner? Und wie sieht von Schwulen kreierte Herrenmode aus? Was trägt die lesbische Frau? Wie sahen/sehen die Codes bestimmter Szenen aus und fanden sie Einzug in den Mainstream/Prét-a-porter?

Valerie Steele, amerikanische Modehistorikerin und Expertin u.a. für High-Heels und Erotik in der Mode, hat mit dem von ihr herausgegebenen Buch „A Queer History of Fashion“ nicht weniger als ein Standardwerk geschaffen – auch wenn die AutorInnen nur Schlaglichter auf einzelne Phänomene wie beispielsweise queere Elemente in der Kleidung des 18. Jahrhunderts oder lesbische Popstars wie k.d. lang, Marlene Dietrich und Ellen de Generes werfen. Nicht nur wegen der glamourösen Fotos ist dieser Band ein Muss für Fashion-Fans of all gender.

Christina Mohr

Darren Pih, Eleanor Clayton, Max Hollein (Hg.): Glam. The performance of Style. Kerber Verlag 2013. Klappenbroschur. 162 Seiten. 29,95 Euro.Die Kunsthalle Schirn auf Facebook.

Henriette Dedichen (Hg.): Warhol´s Queens. Hatje Cantz 2013. Gebunden. 175 Seiten. 39,80 Euro.

Valerie Steele: A Queer History of Fashion: From The Closet to the Catwalk. Yale University Press New Haven and London in Association with The Fashion Institute of Technology New York 2013. Gebunden. 248 Seiten. 39,70 Euro.

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