Das moralisch Offene des Westerns
– Alf Mayer über die Fernsehserie „Rawhide“, Clint Eastwoods Karriere-Beginn und über das, was Western und Kriminales verbindet.
„Keep movin‘, movin‘, movin’… Keep rollin‘, rollin‘, rollin’…“ – Dieser Titelsong ist leider ein Ohrwurm, und er müsste eigentlich laufen, laufen, laufen, während Sie hier lesen, lesen, lesen. (Ganz unten gibt es eine Linkliste zu verschiedenen Cover-Versionen.) Die dem Ohrwurm zugehörige Serie rollte für 217 sagenhafte Folgen, war eine der erfolgreichsten Western-Serien der Fernsehgeschichte, übertroffen nur von den „Rauchenden Colts“ (Gunsmoke, 635 Folgen in 20 Staffeln), „Bonanza“ (431 Folgen/ 14 Staffeln), „Wagon Train“ (284/ 8) und den „Leuten von der Shiloh Ranch“ (The Virginans, 249/ 9).
Mehr Realismus und mehr historische Genauigkeit wollte „Rawhide“ beim Serienstart im Januar 1959 bieten, war mehr draußen als drinnen gedreht, hatte brutale(re) Elemente in vielerlei Hinsicht und bot einem jungen unbekannten Schauspieler namens Clint Eastwood Möglichkeit zu Entwicklung und Entfaltung, ja sogar ein Rollenmodell. Als US-Präsident Ronald Reagan am 30. März 1981 von John F. Hickley niedergeschossen wurde, erfuhr die Welt, dass diese Fernsehserie Pate gestanden hatte bei seinem Decknamen für den US Secret Service. „Rawhide down!“ riefen die Geheimagenten am Schauplatz des von Scorseses „Taxi Driver“ inspirierten Attentats.
Die Popularität der Westernserie „Rawhide“, was auf Deutsch Rohleder bedeutet, bildet sich auch schön & witzig ab in einer Sequenz der „Blues Brothers“ (1980), wo die Band es in einer Kneipe voller Rednecks mit „Gimme Some Lovin‘“ versucht und mit jeder Menge Flaschen und Gläsern beworfen wird, „ain’t no Hank Williams song!“, bis sie schließlich den Laden mit „Rawhide“ in Ekstase versetzen. Entwickelt wurde die Serie von einem Patensohn John F. Fitzgeralds, von Charles Marquis Warren (1912 – 1990), der nicht nur Fitzgeralds Figuren liebte und in über 250 Kurzgeschichten ins Pulpige übersetzte, sondern auch signifikant für die Verbindung von Radio-Serials und Fernsehen wie auch die zwischen dem Western- und dem Krimi-Genre steht. Die „Rawhide“-Folge „The Greedy Town“ von 1962 übrigens basierte explizit auf Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. An die hundert Autoren hatte die Serie, der Frauenanteil nahe zehn Prozent.
In Deutschland liefen die ersten 13 Folgen als „Cowboys“ in der ARD, 1965/66, als die Serie in den USA bereits in der achten und letzten Staffel immer mehr an Zuschauern verlor. Die komplette Serie wurde erst 1991 bis 1994 von Pro Sieben unter dem Titel „Tausend Meilen Staub“ ausgestrahlt. Die ersten drei Staffeln gibt es mittlerweile sauber „digitally remastered“ in deutscher Version auf DVD.
Figuren, inspieriert von Scott. F. Fitzgerald
„Rawhide“-Schöpfer Charles Marquis Warren begann als Autor von Kurzgeschichten für Pulp-Magazine wie „Argosy“ und war einer jener Autoren, die auch Elmore Leonard dazu brachten, sich an Western-Stories zu versuchen. F. Scott Fitzgerald half seinem Patenkind, in Hollywood Fuß zu fassen. Warren kam 1933 nach Hollywood und fand als Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Projektentwickler ein Auskommen. Er war es, der die erfolgreiche Radio-Serie „Gunsmoke“ für das neue Medium Fernsehen adaptierte, die ab 1955 dann mit 20 Jahren Laufzeit einen bis heute ungebrochenen Rekord aufstellte. Jenseits der „sit coms“, billig auf einem Studioset produzierten Familienserien, waren es Western und Krimiserien, die die Zuschauer an das neue Medium Fernsehen banden.
In den mittleren 1950ern und frühen 1960ern dominierten TV-Formate wie „Alfred Hitchcock Presents“ und „The Twilight Zone“ die Einschaltquoten, es gab „Rin Tin Tin“ und „Davy Crockett“, ab 1955 „Gunsmoke“. In der TV-Saison von 1958/1959 gab es nicht weniger als 28 Westernserien zur prime-time. Unter den zehn erfolgreichsten Serien waren sieben Western: Gunsmoke, Wagon Train, Have Gun Will Travel, The Rifleman, Maverick, Tales of Wells Fargo und The Life and Legend of Wyatt Earp.
Charles Marquis Warren hatte in den 1950ern seine Finger in vielen Westernprojekten des beginnenden Massenmediums. Warren und sein Partner Endre Bohem strebten zunehmend einen größeren Realismus an, für ihre Pilotserie „Rawhide“ (der Titel „The Outrider“ wurde verworfen) stützten sie sich auf ein historisches Vorbild und dessen Tagebuch, nämlich auf den Trailboss George C. Druffield, der 1866 mit 20 Männern 3000 Rinder tausende Meilen weit von Texas nach Missouri getrieben hatte.
Hatte Warren eigentlich an 90-Minuten-Folgen gedacht und an einen Mann als Mittelpunkt der neuen Serie, blieb es doch bei den üblichen 50 Minuten, der Trailboss Gil Favor (Eric Fleming) bekam einen jüngeren Assistenten zur Seite, wie auch John Wayne in Howard Hawks ultimativem Viehtreiber-Epos „Red River“ Montgomery Clift zum sidekick hatte. Wie sich zeigen sollte, war das eine ideale Lösung, dies nicht nur im produktionsökonomischen Sinne, wo so auch mal einer der Hauptdarsteller „frei“ nehmen konnte.
Bei der Suche nach dem zweiten Mann fiel die Wahl auf den jungen, damals völlig unbekannten und an der Schauspielerwelt schon fast verzweifelten Clint Eastwood. Entdeckt wurde er in der CBS-Kantine. Clint war in 216 der insgesamt 217 Folgen im Sattel, Trailboss Eric Fleming spielte in 204 Folgen mit, in der letzten Staffel übernahm Clints Rowdy das Kommando.
Immer wieder gibt es etwas zu klären
Die Geschichten, die in „Rawhide“ rund um den Trailboss und seinen Assistenten, um den Koch und seinen Helfer, den Scout und ein paar verwitterte Cowboys erzählt wurden, waren spannend und oft an Detektivgeschichten angelegt. Die ersten drei Staffeln trugen allesamt das Wort „Incident“ im Originaltitel, waren also um einen Vorfall, Zwischenfall, eine Begebenheit oder eine Affäre angesiedelt: Incident of the Tumbleweed Wagon, Incident with an Executioner, Incident on the Edge of Madness, Incident of the Town in Terror, Incident of the Golden Calf, Incident of the Misplaced Indians, Incident of Fear in the Streets, Incident of the Judas Trap und so weiter.
In der typischen „Rawhide“-Geschichte stoßen die Viehtreiber (die „drovers“ im Original) auf ihrem Weg auf jemanden oder bekommen merkwürdige Mitreisende, werden mit einem Problem konfrontiert und in den „Incident“ gezogen. Für das Produktionsbudget ideal, spielen solche Fälle öfter mal „in der Stadt“, wohin sich ein paar Männer des Viehzugs begeben oder verirren und gerettet werden müssen, aber auch die realen Mühen und Strapazen kommen vor, die es bedeutet, eine dreitausendköpfige Herde durch Amerikas Südwesten, durch Wild- und Ödnis, Indianer- und Banditengebiete zu treiben.
Der in der Serie nacherzählte historische Viehzug begann in San Antonio, Texas, und führte entlang des Sedalia Trails in die gleichnamige Stadt nahe Kansas City in Missouri. Der Wert der Herde hätte in heutigem Geld 1,3 Millionen Dollar betragen. Das Niveau der Serie schwankt. Manchmal bis ins Lächerliche. Oft genug aber ist der Realismus packend, sind die Themen geradezu apokalyptisch: ausgedörrte Landschaft und Wassermangel, Gespensterreiter, Wölfe, Zigeunerflüche, Kriegstraumata, Viehseuchen.
Die Serie packte auch harte Themen an, etwa all das böse Blut nach dem Bürgerkrieg (sein Ende historisch vier Jahre vor dem geschilderten Viehtrieb), Konflikte mit den indianischen Ureinwohnern, Entwurzelte, Rassismus, Viehdiebe, gefährliche Viehseuchen, Banditen. Robert Culp spielt einmal einen morphinsüchtigen Ex-Soldaten. Natürlich braucht es bei vielen dramaturgischen Lösungen ein gnädiges Auge, die Serie war Familienunterhaltung, die Studio-Zensur hatte nicht nur auf alle im Hintergrund sich ereignenden Tierbegattungen und sogar auf Pferdeäpfel und Kuhfladen ein strenges Auge. Auch die Kampfszenen sind nicht immer rund und überzeugend, der Produktionsdruck war enorm.
Gedreht wurde an sechs von sieben Tagen, mindestens je zwölf Stunden. Einmal im Jahr wurden die Außenaufnahmen in Arizona geschossen, diese „location footage“ wurde dann in die Folgen eingeschnitten. Längst nicht immer sind in dieser Viehtreiber-Serie Kühe und Kälber im Bild, schon gar nicht die Longhorns mit ihren langen Hörnern, die durch den Vorspann preschen. Die „Sound Stage“ für die Tonaufnahmen befand sich auf einer Ranch im Außenbezirk von Los Angeles, im Simi Valley, die studioeigene Kuhherde dort satter und braver als die Außendarsteller. (So wie die Tarzan-Filme indische statt afrikanischer Elefanten haben oder „Daktari“ eben in Kalifornien entstand.)
The Making of Clint Eastwood
Jede Folge wurde üblicherweise vom Trailboss Gil Favor eingeleitet, ab der zweiten Saison übernahm auch Clint Eastwood (“I‘m Rowdy Yates, ramrod of this outfit…“), später gab es auch andere Erzähler. Rowdy ist sehr jung und ungestüm in den ersten Folgen und Favor muss ihn an die kurze Leine nehmen. Favor ist überhaupt ziemlich ausgebufft, ein natürlicher Anführer, der bei seinen Leuten immer mit offenen Karten spielt; ein zäher Hund, der mit den Herausforderungen seines Jobs und den Extraaufgaben, die all die „Incidents“ bringen, prima fertig wird.
Der 1925 geborene Eric Fleming, der vor „Rawhide“ in einigen Science-Fiction-Filmen gespielt hatte, war 33 Jahre alt, als er die Rolle des Gil Flavor übernahm, der einen 20-Mann-Trupp und 3000 Rinder zu kommandieren hat. Seine natürliche Präsenz und das durch eine Kriegsverletzung eingeschränkte Minenspiel dienten letztlich seinem side kick Clint Eastwood zum Vorbild. Der mochte seine Rolle als Rowdy Yates nie so richtig, genierte sich für die Unreife und Ungeschlachtheit seiner Figur, sah sich darin als „Der Idiot der Prärie“. Aber – und das ist interessant zu verfolgen – es war ihm erlaubt, zu reifen.
Eastwood fand in Ted Post, der bei 24 Folgen Regie führte, eine Lehrer und Mentor, und labte sich an seinem Vorbild Gary Cooper, der „nie Furcht davor hatte, vor der Kamera nichts zu tun“. Bald schon holte Clint bei der Fanpost auf. Als er mit Fleming 1962 in Japan tourte, war er dort der Star (was sich später Kurosawa zunutze machte). „Rawhide“ war in Japan eine Sensation wie es die „Beatles“ in USA waren, es gab hysterische Fan-Aufläufe. Fleming fühlte sich eigentlich zu Höherem berufen, war immer froh, wenn er mal aus der Serie herausgeschrieben wurde – „being written down in an episode“, nannte man solch einen verkleinerten Auftritt, wenn die anderen die Arbeit tun.
Für ein paar Dollar mehr – eine Karriere
Im Winter 1963/64 wurde Clint Eastwood gefragt, ob er die Hauptrolle in einem italienisch-deutsch-spanischen Low-Budget-Western übernehmen wolle. Der Titel „El Magnifico Stragnero“, der Regisseur Sergio Leone. Der war Assistent u.a. von Raoul Walsh, Robert Aldrich, bei William Wylers „Ben Hur“ und insgesamt über 80 Filmen gewesen, viele von ihnen monumentale Sandalen. Viele Schauspieler hatten schon abgelehnt: James Coburn, Charles Bronson, Rory Calhoun, Richard Harrison, Frank Wolfe, auch Eric Fleming. Eastwood unterschrieb, ohne den Regisseur getroffen zu haben, der eh kein Englisch sprach, brachte seine Revolver samt Patronengürtel, seine Stiefel und Sporen, die er in „Rawhide“ getragen hatte, zum Dreh mit. Leone war begeistert. „Für eine Handvoll Dollar“ und die folgenden „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“ machten ihn zu einem der größten Nachkriegs-Stars.
Freilich nicht gleich. Weil Leone allzu unverblümt bei Akira Kurosawas 1961 in Venedig gelaufenen, für den „Oscar“ nominierten „Yojimbo“ abgekupfert hatte, dauert es Jahre, bis der Rechtsstreit gütlich beendet war und die drei Filme auch in den USA gezeigt werden konnten. Kurosawa hatte sich, des Marktwertes von Eastwood wohl als einer der Ersten bewusst, das japanische Einspiel als Honorar ausbedungen, es wurden weit mehr als die ursprünglich von ihm geforderten 10.000 Dollar. Kurosawa übrigens soll sich die Idee für „Yojimbo“ aus Dashiell Hammetts „Rote Ernte“ geholt haben, auch das ein nettes Beispiel für die Verschränkung für Western- und Krimigenre.
Man darf sich fragen, was aus dem trotz seiner väterlichen „Rawhide“-Rolle nur fünf Jahre älteren und heute vergessenen Eric Fleming, geworden wäre, hätte er damals anstelle an Eastwood zugesagt. Die beiden waren sich in manchem ähnlich, waren Kinder der Depression, in ärmlichsten Verhältnissen und mit Kinderarbeit aufgewachsen. Wie kaltherzig und wortlos Eastwood als William Munny in „Erbarmungslos“ seine minderjährigen Kinder zurücklässt, als er zu seinem Rachefeld aufbricht, hat durchaus autobiographische Züge. Fleming übrigens kam 1966 bei Dreharbeiten für „High Jungle“ im peruanischen Dschungel ums Leben, als sein Kanu in einem wilden Fluss kenterte, gerade 41 Jahre alt. Ironischerweise rettet Fleming in der allerersten „Rawhide“-Folge jemanden vor dem Ertrinken.
Clints Rollenmodell: der vergesse Eric Fleming
Eastwoods „Man With No Name“ in den drei Italo-Western war klar von seinem Sparringsparter in „Rawhide“, vom Trailboss Gil Favor inspiriert, aufrecht und nobel wie der konventionellste Held, gleichzeitig absolut professionell und von Natur aus schonungs- und rücksichtslos. Eric Fleming erreichte das mit einem minimalen Aufwand an Emotion und mit wenigen Worten, knapp und bedrohlich durch die Zähne gezischt, als ob nicht zu viel Staub hinein wehen sollte. Charles Marquis Warren überschrieb dieses Image sozusagen im Ringtausch dann sogar auf Elvis, den 1969 er in „Charro!“ im Eastwood-Fleming-Look inszenierte.
Auch Eastwood zischte wie Fleming durch die Zähne, seine Stimme galt als nicht besonders ausdrucksstark. Aber er war der Charmebolzen der Produktion. Hilda Bohen, die Ehefrau eines Drehbuchautors meinte: „They hired Clint because he had such a wonderful smile. It’s sort of ironic when you realize that he built his movie career on never smiling at all.“ Aber irgendwann war der es leid: „I was tired of playing the nice clean-cut comboy in Rawhide“, sagte er später. 750 Dollar die Woche, ein anständiges Salär für die Zeit, bekam er in der ersten „Rawhide“-Staffel. Für 15.000 Dollar plus Spesen nahm er, 34jährig, Sergio Leones Angebot an. Der verschrieb dem Nichtraucher Zigarillos, was Clint später in vielen Rollen variierte. Für seinen dritten Italowestern kassierte er dann schon 250.000 Dollar.
Eastwood, der an allen Sets Kontakt zur Filmcrew hielt und sich so vor dem Start seiner eigenen Regie-Karriere viel Wissen aneignete (36 Filme bis heute, einer besser als der andere, dazu in 60 Filmen und 7 Fernsehserien als Schauspieler), hatte schon 1959 in einem seiner allerersten Interviews ein Credo: „Du musst dich selbst verkaufen. Du musst eine einzige Ware an den Mann bringen: Dich selbst.“ Wie ein Haustürverkäufer an seinen Staubsauger, so müsse man sich selbst glauben : „You have to believe in yourself the same way a salesman believes in a vacuum cleaner. It’s hard, but if you don’t, nobody else will recognize what you’re worth. Humility in Hollywood is something you can afford when you’re a star.“
Clint und die Frauen – a never ending story
Nun, ein Star war der junge Eastwood bei den Frauen. Von 1953 bis 1984 mit Maggie Johnson verheiratet, war er ein Fremdgänger vor dem Herrn, was ihn gerade auch wieder im hohen Alter einholt. Er hat sieben anerkannte Kinder, von, wenn ich richtig gezählt habe, fünf Frauen. Seine Lässigkeit, um nicht so zusagen schläfrige Lässigkeit, vor allem nach den in seinem Trailer verbrachten Mittagspausen, wurden auch seinen Damenbesuchen am Filmset zugeschrieben. (Freilich sind 215 „Rawhide“-Folgen gewiss ein Erfahrungs- und Selbstbewusstseinswert an sich.) Eine Freundin, die exotische, bei Martha Graham in die Lehre gegangene Tänzerin Roxane Tunis, brachte er als „Double“, Tänzerin und Dauer-Saloondame in „Rawhide“ unter.
All die Rowdy-Jahre, so sind sich viele Quellen in Patrick McGilligans „Clint, The Life and Legend“ (1999) einig, gab es bei ihr Abendessen und Sex, bevor es für ihn nach Hause ging. Freilich war sie längst nicht die einzige, ab irgendwann – es waren die klemmigen 1960er – erging sich auch die Presse in Andeutungen. Clints „nooners“, seine Nachmittags-Dates in Motels und den Wohnungen von Freunden, waren notorisch. McGilligan beschreibt eine Episode, in der Clint sich aufregte, weil eine Affäre ihn für unverheiratet hielt. Sie hatte ihn zuhause besucht, war von Clints Ehefrau Maggie begrüßt worden, „Ach endlich treffe ich Sie, wo ich schon Wochen von ihnen höre“, hatte den Abend geschockt mit Herzrasen verbracht. Als sie dann daheim war, taucht Clint bei ihr auf, fand die Tür versperrt, sein Klopfen unerhört, und trat die Tür ein – Clint hatte ein Cholerikerproblem – und antwortete auf den Vorwurf, er hätte nie erwähnt, verheiratet zu sein: „Whaaat? Don’t you read the fan magazines?“
Die dunkle Seiten des Westerns
Das leitet über zu einer dunklen Seite des Westerns, zu einer Wurzel, die von „Rawhide“ zu „Deadwood“ und zu Jane Campions „Top of the Lake“ führt. „Deadwood“ diente jüngst in der Sonntags-FAZ als Illustration der Prostitutionsdiskussion, tatsächlich kulminierte in dieser ungefiltert schmutzigen Western-Serie all das, was uns – jenseits der braven und beinahe unerreichbar guten Frauen – im Western an Frauen begegnet. Kriegsbräute sind sie, kommen (wie die Männer) aus einer atavistischeren Zeit. Sie sind Frauen, die sich zu wehren und zu ergeben wissen, aus der „richtigen“ Mischung ihre Kraft und Würde beziehen.
Der mit 37 Jahren leider viel zu verstorbene Robert Warshow (1917–1955) benannte in seinem großen Text „Movie Chronicle: The Westerner” von 1954 (versammelt in „The Immediate Experience“) die „quasi maskuline Unabhängigkeit einer Prostituierten“ als ihr wichtigstes Attribut, als einen jener Faktoren, die das Genre des Westerns so besonders machen: „Nothing has to be explained to her, and she is not like a virtuous woman, a ‚value’ that demands to be protected.“
Es gibt wohl keinen Schauspieler neben Clint Eastwood, in dessen Filmen so viele „gefallene Frauen“ zu zählen wären, so viele Frauen geschlagen und nicht eben freundlich behandelt werden. Diese Beobachtung ist kein Hilferuf an Alice Schwarzer, einfach nur ein Hinweis, dass da in einem Lebenswerk ein vom Mainstream abweichender, keineswegs nur dummer, aber eben ziemlich politisch inkorrekter Umgang mit dem anderen Geschlecht herrscht. Frauenverachtung, Machismo und „Million Dollar Babies“ halten sich bei Eastwood die Waage.
Sein Lied als Frauen-Regisseur muss erst noch gesungen werden, man denke an „Die Brücken am Fluss“, an Cécile de France oder die wunderbare Liebesszene zwischen Matt Damon und Bryce Dallas Howard in „Hereafter“. Gleich in der ersten Folge von „Rawhide“, deutsch „Die Steppenhexe“ (Incident oft he Tumbleweed), wird eine mit Handschellen gefesselte Frau niedergeschlagen. „Behandelt man so eine Frau?“, heißt es. „Das ist eine Wildkatze. Keine Frau!“, lautet die Antwort.
Eine moralische Offenheit
Alle anderen Genres, auch die des Kriminalromans und des Kriminalfilms, zehren von den starken Bildern, die der Western in Sachen Frau und in Sachen Gewalt zu entwerfen vermochte. In keinem anderen Genre, an keinem anderen Ort unserer Kultur, meinte Warshow, gibt es eine solch durchgängig ernsthafte Behandlung dieser beiden Themen. Ein Westernheld braucht laut Warshow „eine moralische Uneindeutigkeit, die sein Bild verdunkelt“ – wenn uns das nicht als dem Krimi-Genre bekannt vorkommt. Alles freilich an griechischer Tragödie, das Kriminalromane an Tiefe zu erreichen vermögen, wurde zuerst im Western durchdekliniert. Ebenso, dass der Westerner, melancholisch und frei genug zum Umherziehen, der letzte Gentleman ist.
Warshow sieht „die Pose“ als zentral für den Western an, die Waffe und all die Haltungen, die mit ihrem Gebrauch zu assoziieren sind. Das gilt sogar noch, wenn sie fehlt, etwa in „Johnny Guitar“, wo Sterling Hayden mit einer auf den Rücken geschnallten Gitarre „in die Stadt kommt“. Oder ebenfalls Sterling Hayden, mit einer Harpune als gestrandeter Walfischjäger in „Terror in a Texas Town“. Für Warshow ist der Western ganz um den Impuls des Abdrückens herum gebaut, die Waffe hat eine lauernde, dauernde Präsenz.
Immer ist es im Western „um die 1870“, immer geht es um das eine: notfalls eben die Lösung eines Konfliktes mit Gewalt. Der Western lehrt uns, dass das Leben unabwendbar ernst sein kann. Wenn das kein Motto auch für den Kriminalroman ist. Nicht umsonst vermögen Kriminalautoren wie Elmore Leonard, Robert B. Parker, Brain Garfield, Loren Estleman oder Ed Gorman so anstrengungslos zwischen den Genres zu pendeln. Western erzählen immer von Konflikten, die nach einer Lösung verlangen. Der physischen Freiheit des offenen Landes entspricht auch die moralische Offenheit. Waffen werden offen getragen und kommen zum Einsatz, eine zivilisatorische Phase ist im Western sozusagen festgefroren. „Der Revolver zeigt uns, dass der Westerner in einer Welt der Gewalt lebt und dass er an Gewalt glaubt.“
Gewalt freilich im Western, das gilt auch für all die „Rawhide“-Folgen, ist längst nicht immer die treibende Kraft, sie sucht nicht immer Entladung wie in einem Tarantino-Movie (der wieder an einem Western arbeitet). Ganz im Gegenteil erzählen Western von Beherrschung, von Selbstkontrolle und Zurückhaltung. Der Moment der Gewalt muss in seiner eigenen Zeit und mit eigener Berechtigung kommen, sonst verliert sie ihren Wert. Gewalt ist eben NICHT der Punkt in einem Westernfilm, sondern allein das Bild einer bestimmten Männlichkeit, die sich durch Gewalt artikuliert und definiert.
Gewalt als ein Moment moralischer Ekstase
Wieder und wieder sieht die Kulturwissenschaftlerin Jane Tomkins das immer gleiche Muster in Western reproduziert, sinniert darüber in „West of Everything. The Inner Life of Westerns“ (1992): Der Held, von Beleidigungen provoziert, erst verbal, dann körperlich, widersteht dem Impuls zum Zurückschlagen, beweist so seine moralische Überlegenheit gegenüber den anderen, die ihn herausfordern. Nie ist es der Held, der die anderen verhöhnt, höchstens wenn die anderen ihn „zu weit“ getrieben haben. Und soweit kommt es immer. Der oder die Schurken gehen irgendwann soweit, dass der Held zurückschlagen MUSS. Wir wollen es so als Zuschauer, die sich im Film oft gedoppelt finden. Und mehr: All die Inszenierungen gehen an den Punkt, an dem gegen Gewalt nicht zurückzuschlagen, die Grenze zur Gewalt nicht zu überschreiten die Grenzüberschreitung wäre. Der ganze Zweck der Übung geht dahin, dass das Publikum es kaum mehr erwarten kann, bis der lässig beherrschte, coole und lakonische Held loslegt. Gewalt als geradezu biologische Notwendigkeit, als ein Moment „moralischer Ekstase“.
Hier ein Link zu einer Szene aus der TV-Serie „The Rifleman“, in der Lee van Cleef, einer meiner Lieblingsschauspieler, den Guten über alle Gebühr reizt, bis hin zum Satz: „Is that you or your gun talking?“, und der endlich reagiert. Auch in „Rawhide“ versuchen Gil Favor (Eric Fleming) und seine rechte Hand, der junge Rowdy (Clint Eastwood), stets sich aus Konflikten heraus zu halten, dann aber setzen sie sich jedoch immer wieder für Recht und Gesetz ein und helfen den Bedürftigen. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, heißt der zugehörige Nachtgesang.
Eigentlich klar, dass ein Kalte-Kriegs-Präsident sich als „Rawhide“ sah, als Führer einer Nation, die sich zu wehren weiß, sich seit Generationen im subkulturellen Text genau darüber definiert. Nicht umsonst ist der Western das uramerikanische Genre. Gespiegelt auch im kriminalen Brudergenre, auch hier werden Moral und Wehrhaftigkeit getestet und oft bis zum Äußersten gedehnt.
Exkurs: Der Ohrwurm
Nur die Titelmelodie von „Bonanza“ kann einigermaßen mithalten mit der Popularität, die der „Rawhide“-Song erreicht hat. Komponiert wurde er von dem aus Russland in die USA emigrierten Dimitri Tiomkin, neben Max Steiner, Franz Waxman, Bernard Herrman und Miklós Rózsa einer der produktivsten Komponisten Hollywoods. Der Text stammte von Ned Washington, der auch den Jazzstandard „Stella by Starlight“ oder „Do Not Forsake Me, Oh My Darling“ schrieb, gesungen wurde er in der Originalversion von Frankie Laine. Sie alle zusammen machten „Rawhide“ zu einem der meistimprovisierten Crossover-Stücke der „Western Music“. Deutlich mehr als hundert Versionen sind im Umlauf, es gibt orchestrale Einspielungen oder das Ganze A-capella, Surf- und Instrumentalvarianten, Punk-, Folkpunk-, Psychobilly-, Metal- und Indierock- und Westernswing-Varianten. Es macht Spaß, sich da durchzuhören, aber Vorsicht: Suchtfaktor.
Der Liedtext von „Rawhide“ ist simpel gehalten, erzählt von den mit einem Viehtrieb verbundenen Strapazen und der Sehnsucht der Cowboys nach ihren Liebsten. Nicht immer weiß man sofort, oh du weites Feld zwischen Männern und Frauen, „don’t try to understand them“ … „ride’em in, let ‚em out“, ob von Kühen oder Frauen die Rede ist:
Keep movin‘, movin‘, movin‘,
Though they’re disapprovin‘,
Keep them dogies movin‘, rawhide.
Don’t try to understand ‚em,
Just rope ‚em, throw, and brand ‚em.
Soon we’ll be livin‘ high and wide.
My heart’s calculatin‘,
My true love will be waitin‘,
Be waitin‘ at the end of my ride.Move ‚em on, head ‚em up,
Head ‚em up, move ‚em on,
Move ‚em on, head ‚em up, rawhide!
Cut ‚em out, ride ‚em in,
Ride ‚em in, let ‚em out,
Cut ‚em out, ride ‚em in, rawhide!
…
Keep rollin‘, rollin‘, rollin‘,
Though the streams are swollen,
Keep them dogies rollin‘, rawhide.
Through rain and wind and weather,
Hell bent for leather,
Wishin‘ my gal was by my side.
All the things I’m missin‘,
Good vittles, love and kissin‘,
Are waiting at the end of my ride.Move ‚em on, head ‚em up,
Head ‚em up, move ‚em on,
Move ‚em on, head ‚em up, rawhide!
Cut ‚em out, ride ‚em in,
Ride ‚em in, let ‚em out,
Cut ‚em out, ride ‚em in, rawhide!
RAWHIDE!!!
PS. Die „dogies“, von denen des Sanges ist, beziehen sich aufs Vieh. Ein „dogie“ ist ein mutterloses Kalb. Ein „maverick“ übrigens ist ein mutterloses, noch nicht gebrandmarktes Kalb – aber das ist eine andere Geschichte.
Hier eine Liste mit „Rawhide“-Versionen:
Die Eröffnungssequenz mit viel Landschaft und Rindern
Guter Trailer mit viel Clint Eastwood
Die Original 1958 Single Version von Frankie Laine
Die Kneipenszene aus Blues Brothers
Hier eine ungestörte Version der Blues Brothers
Eine Surfversion von den Lively Ones
http://www.youtube.com/watch?v=5-k02h1H-K8
Von den Ramblin‘ Primitive Outlaws
Von der deutschen Metal-Band „Dezperados“
Von Riders in the Sky
Von den Dead Kennedys
Für den Pinguin-Animationsfilm Happy Feet Two
Die Los Carayos
Die Meteors
Als Pianoversion
Hier die vollständige Episode „Incident with the Tumbleweed“
Der Liedtext
Rawhide – Tausend Meilen Staub
USA 1959-1966, 217 Episoden á 50 Min. in 8 Staffeln. Erstausstrahlung ab 9. Januar 1959 bis 4. Januar 1966 auf CBS. Deutschsprachige Ausstrahlung (13 Folgen) als „Cowboys“ ab 2. Mai 1965 in der ARD, die komplette Folge als „Tausend Meilen Staub“ 1991 bis 1994 auf Pro Sieben. Entwickelt und in 84 Folgen produziert von Charles Marquis Warren, Studio: CBS, zahlreiche Regisseure, über 100 Drehbuchautoren, Musik: Dimitro Tiomkin, Titelsong: Frankie Laine, Kamera: Neal Beckner, Philip H. Lathrop, John M. Nickolaus, Jr., Howard Schwartz, Jack Swain. Gefilmt in Kalifornien und Arizona.
Mit Eric Fleming: Gil Favor (Trail Boss), Clint Eastwood: Rowdy Yates (Vormann), Paul Brinegar: George Washington Wishbone (Koch), Steve Raines: Jim Quince (Viehtreiber), James Murdock: Harkness „Mushy“ Mushgrove III (Gehilfe des Kochs), Rocky Shahan: Joe Scarlet (Viehtreiber), Robert Cabal: Jesús „Hey Soos“ Patines (Pferdehüter), Sheb Wooley: Pete Nolan (Scout), William R. Thompkins: Toothless u.v.a., dabei auch viele Gastauftritte von Hollywood-Stars von Peter Lorre bis Mercedes McCambridge.
Staffel 1 bis 3 in je zwei Kassetten, digitally remastered und in deutscher Fassung, bei explosive media.
Alf Mayer