Der Schwindel der Globalisierung
In seinem Roman „Weltschatten“ erzählt der 1976 in Jerusalem geborene Nir Baram, wie die Globalisierung mit ihren Hedgefonds und Bankenspekulationen auch Israel erreicht und wie sich über die sozialen Medien eine globale anarchische Protestbewegung gegen diese aufbaut.
Einer der Hauptprotagonisten in diesem sich aus drei Erzählsträngen zusammen setzenden Roman ist Gavriel Manzur. Als Sohn eines Ghostwriters für reiche jüdische Geschäftsleute in der ganzen Welt lernt er in New York die Welt der Hochfinanz kennen. So wird er für den Hedgefonds „Brookman, Stanton & Barnes“ in Israel der „Mann für alles“ und knüpft unter dem Deckmantel einer wohltätigen Stiftung Kontakte zur Wirtschaft und Politik. Nur einige Jahre später ist die behäbige Provinzialität der israelischen Wirtschaft Geschichte und „die Welt, die er kannte, befand sich plötzlich in einem schwindelerregenden Rausch“ der Projekte, Kredite und Spekulationen. So lange, bis die Flutwelle der Finanzkrise von 2007 alles hinweg spült.
In den gleichen Jahren formiert sich in Liverpool eine Clique aus Globalisierungsverlierern und ruft die Idee eines weltweiten Streiks aus. Sie erregen Aufmerksamkeit, indem sie in futuristischer Manier Galerien und Kultureinrichtungen zerstören und ihre Aktionen auf Facebook posten. Schnell schwillt die Bewegung weltweit an und erklärtes Ziel ist es, die herrschende Ordnung systematisch zu erschüttern.
Der dritte Erzählstrang bildet schließlich eine nur aus E-Mails, Dienstbesprechungen und Presseartikeln bestehende Klammer. Hier bekommt der Leser Einblick in das Innenleben der amerikanischen Politikberatungsagentur MSV, die weltweit Wahlkampagnen konzipiert und durchführt – vornehmlich für die gute Sache, nämlich für Freiheit, Gleichheit und soziale Marktwirtschaft. Doch auch hier hat sich letztlich schon längst das Prinzip der Gewinnmaximierung ohne moralische Skrupel durchgesetzt. Und so steigt einer der gut bezahlten Campaigner aus der Agentur aus und unterstützt die Globalisierungsgegner auf ihrem Weg zum Tag X, der eine eskalierende Gewaltspirale bringen wird…
Nir Baram beleuchtet in seinem Roman die komplexe Wirklichkeit der globalisierten Welt und zeigt die vernetzten „Global Player“ von den amerikanischen und englischen Elite-Unis und die Finanzströme, Spekulationen und Beteiligungen von Firmen, Banken und Dienstleistern auf. Aller Protest und alle Utopien scheinen in dieser Welt ins Leere zu laufen, denn „der Kapitalismus lässt alle für sich arbeiten, auch seine Kritiker“.
So ist dieser Roman mit seinen kritischen Betrachtungen und letztlich desillusionierenden Antworten durchaus von hoher gesellschaftspolitischer Aktualität und hat starke literarische Passagen. Allerdings erscheint er auch etwas hingeschludert und insbesondere der Erzählstrang rund um die anarchische Protestbewegung ist allzu geschwätzig und überzogen – ein Problem, das viele der derzeitigen voluminösen Neuerscheinungen in sich tragen und die Frage aufwerfen, wieso das so durch die Hände des Lektorats gehen kann.
Karsten Herrmann
Nir Baram: Weltschatten. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Hanser Verlag 2016. 512 Seiten. 26,00 Euro.