Ideenreicher Erzähler
Alles hängt mit allem zusammen – dies stellt Norbert Zähringer in seinem begeisternden neuen Roman Einer von vielen unter Beweis, in dem sich Welten, Zeiten und Schicksale auf gerade zu magische Weise zu einem schillernden Erzählkosmos verbinden. Von Karsten Herrmann
Die Erde bebt, als Edison Frimm am 1. September 1923 in der Mojave-Wüste geboren wird. Zeitgleich erblickt im entfernten Berlin der kleine Siegfried Heinze, dessen Vater am selben Abend noch erschossen wird, das Licht der Welt und im brennenden Tokio rennt ein Polizist um sein Leben. Die Erde bebt abermals, als sich Edison Frimm achtzig Jahre später auf einer Brücke hoch über dem Pazifik das Leben nehmen will, um dem Verblassen der Erinnerungen zuvorzukommen.
Dazwischen liegt eine Epoche voller dramatischer Ereignisse, kurioser Geschichten und schicksalhafter Verwicklungen – die Utopie einer kalifornischen Kommune, die Aufklärung einer Berliner Mordserie durch den wackeren Kommissar Mauser, die Liebe zu einer Hollywood-Schauspielerin, der Traum vom Baseball-Ruhm und die Rettung eines kleinen jüdischen Jungen. Stück für Stückt knüpft Zähringer sein welten- und zeitenverbindendes Netz nach einem hochkomplizierten Muster und mit verblüffender Fadenführung. Exemplarisch ist hier der Berliner Exil-Kaukasier und -Georgier Bebo Globodajarian zu nennen, der „um die halbe Welt gejagt wurde, nur um wieder genau dort vom Himmel zu fallen, von wo er aufgebrochen war“.
Begnadeter Erzähler von internationalem Format
Die großen historischen Themen von Zähringers Roman sind der aufkommende und schließlich mörderisch wütende Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg, in dessen letzten Tagen sich Edison Frimm und Siegfried Heinze begegnen. Wie schon in seinem Vorläufer-Roman beleuchtet der 1967 in Stuttgart geborene Zähringer aber auch wieder die Berliner Nachwendezeit, die sich in diesem Falle rund um Siggis Amerikanischen Diner und seine Kundschaft auf einer Brachfläche in Mitte entfaltet.
Norbert Zähringer erweist sich in seinem nunmehr dritten Roman endgültig als ein begnadeter Erzähler von internationalem Format, der sich trotz der Schwere seiner Themen eine große Leichtigkeit und Unterhaltsamkeit bewahrt und den grotesken Einschlag liebt. Einer von vielen besticht durch einen ungeheuren Ideen-, Figuren- und Detailreichtum, der problemlos für ein halbes Dutzend Romane gereicht hätte. In einer Traditionslinie, die vom expressionistischen Simultanismus bis zu postmodernen Erzählern wie Thomas Pynchon reicht, gelingt es Zähringer aus all seinen Haupt-, Neben und Zwischensträngen eine rundes Ganzes zu machen. Am Ende seines 500-Seiten-Romans webt er so auch souverän den letzten Faden ein, der alles mit allem verbindet.
Karsten Herrmann
Norbert Zähringer: Einer von vielen.
Berlin: Rowohlt Verlag 2009. 490 Seiten. 22,90 Euro.