Demokratie? Nein, danke.
Man muss schon auf beiden Ohren taub und blind sein, um das verbreitete Desinteresse an der politischen Demokratie nicht wahrzunehmen.
Die Zahl der Nicht-Wähler steigt von Wahl zu Wahl. Der Verdruss über ‚die da oben‘ und ihre ‚Diäten‘ ist riesig. Der Glaube, dass man mit den langsamen demokratischen Entscheidungsprozessen die wirtschaftliche Krise bewältigen, die Arbeitslosigkeit abbauen, die Umweltverschmutzung verringern, die Renten sichern kann usw. usw. schwindet mit jeder Legislaturperiode. Zwar sind es – noch – nur wenige, die ihre Hoffnung auf einen ‚Führer‘, wenigstens einen ‚starken Mann‘ richten, aber die Demokratie hat derzeit keinen guten Ruf.
Auch Paolo Flores d’Arcais hat ein ähnliches Unbehagen, wenn er den Zustand der Demokratie in Italien beobachtet. Zusätzlich zu den auch in Deutschland bekannten Miseren kommt da noch das ‚Phänomen Berlusconi‘ hinzu. Dessen radikal auf die Mehrung seines privaten Reichtums an gelegte Politik hat das demokratische Fundament Italiens in den letzten Jahren so sehr erschüttert, dass nur noch die verzweifelte Aufforderung eines mailänder Richters bleibt: „Resistere, resistere, resistere“. Flores d’Arcais schließt sich dieser Aufforderung zum Widerstand an, aber in die Langsamkeit einer parlamentarischen Opposition setzt er dabei keine große Hoffnung.
Bürger, weg von der Glotze
Die Demokratie kann nur gerettet werden, so der Autor, wenn ‚wir‘, die einfachen Bürger, sie selber in die Hand nehmen. Also, raus aus den privaten Höhlen, weg von der Glotze, Schluss mit dem ewigen Jammern & Klagen. Geht wieder auf die Strassen und Plätze. Engagiert Euch in Selbsthilfen, in Ad-Hoc-Gruppen, fasst Euch an die Hände und belagert die Ministerien, die Parteizentralen, die großen Medienzentren.
In seinem jüngsten Buch „Der Souverän und der Dissident“ fasst Flores d’Arcais seine demokratische Fundamentalkritik an der „Real-Demokratie“ zusammen. Nicht nur private Oligarchen à la Berlusconi zerstören die Grundlagen der liberalen, rechtsstaatlich organisierten Demokratie, sondern auch ein nur sich selbst stützendes Parteiensystem. „Parteieiherrschaft und autoritärer Populismus verstärken einander gegenseitig (in bisher unbekannten Formen von Show und Videokratie).“ Entsprechend steht Flores d’Arcais nicht nur zu Berlusconi und dessen Politikfirma „Forza Italia‘ in großer Distanz, sondern auch zu den „Realpolitikern“ der parlamentarischen Opposition. „Die Abkehr der Wähler macht das Monopol der Berufspolitiker noch drückender, statt sie aufzuschrecken durch die Abscheu, die ihnen entgegenschlägt.“ Die Wahlergebnisse oder die inflationären Meinungsumfragen geben Flores d’Arcais da sicherlich recht. Und diese Kritik trifft nicht nur auf Italien zu, sondern auch auf die politischen Verhältnisse in Deutschland. Oder glaubt jemand im Ernst, dass eine neue, konservative Mehrheit in Deutschland das Ansehen der Demokratie wieder aus dem Keller holt? Was aber folgert er aus dieser scharfen Polemik gegen den Verfall der klassischen demokratischen Ideale? Das Plädoyer des Autors für die Bewegungen der „Dissidenten“ ist zwar leidenschaftlich und prosaisch, aber bleibt doch allzu vage: „Sie werden wie Karstflüsse abwechselnd heftig hervorbrechen, um dann wieder in heftigen Strudeln und Stromschnellen voranzustürmen und das Flussbett in aller Breite auszufüllen.“ Und an anderer Stelle wünscht er sich eine „Gesellschaft der Dissidenten“, in der jeder ein Dissident gegenüber den Übergriffen der Macht ist. Paolo Flores d’Arcais provoziert mit seiner – berechtigten – Kritik an dem allgemeinen Verfall des demokratischen Ideals ein Unzahl an Fragen. Und vieles hören wir wohl, allein uns fehlt der Glaube, dass die Bürger sich auch so einfach wieder in die Politik einmischen. Aber hoffen darf man es schon…
Carl Wilhelm Macke
Paolo Flores d’Arcais: Die Demokratie beim Wort nehmen. Der Souverän und der Dissident. Aus dem Italienischen von Friedrike Hausmann. Wagenbach Verlag 2004. 139 Seiten.10,90 Euro. ISBN: 3-8031-2496-4