Geschrieben am 5. Februar 2014 von für Bücher, Litmag

Paolo Giordano: Der menschliche Körper

Paolo Giordano_Der menschliche KörperDer Preis des Krieges

– Was geschieht mit Menschen, die ihre heimischen Komfortzonen in Westeuropa verlassen und auf einem einsamen Vorposten im afghanischen Gulistan mit Krieg, Angst, Tod und der Frage nach Schuld konfrontiert werden? Dies zeigt der Italiener Paolo Giordano in seinem Antikriegs-Roman „Der menschliche Körper“ auf eindringliche und facettenreiche Weise. Von Karsten Herrmann.

„Der menschliche Körper“ ist ein vielperspektivischer Roman, in dem rund ein Dutzend Protagonisten vor, während und nach ihrem Afghanistaneinsatz begleitet werden. Da sind zum Beispiel der Obergefreite Ietri, ein Muttersöhnchen und noch „Jungfrau“ und sein Freund Cederna, ein Großkotz und Macho wie er im Buche steht. Oder der Feldwebel René, der ein guter, verantwortungsbewusster Zugführer sein will, sich in seinem Nebenjob als Callboy verdingt und kurz vor seinem Einsatz von der Schwangerschaft einer seiner Kundinnen erfährt. Zusammen mit ihren Kameraden landen sie auf dem vorgeschobenen Kommandoposten in Gulistan, einer Einöde aus Sand, Sonne, Wind und Bergen am Horizont. Hier treffen sie auf den Oberleutnant und Arzt Egitto, der von Anti-Depressiva abhängig ist, die ihm ein „butterweiches Wohlgefühl“ bescheren und der seine Einsatzzeit hier freiwillig verlängert hat.

Paolo Giordano nimmt sich viel Raum, um das alltägliche Leben der Soldaten auf diesem abgeschnittenen und mangelhaft versorgten Vorposten zu beschreiben, der nur durch Satellitentelefon, Mails und Internet-Chats mit der Außenwelt verbunden ist. In die tägliche Routine und Langeweile, das Mobbing, die Gedanken, Sehnsüchte und Träume der Soldaten, mischt sich dabei immer stärker und zersetzender die unsichtbare Bedrohung durch die Taliban.

Und dann steht der erste gefährliche Einsatz an: Die Begleitung eines LWK-Konvois durch Taliban-Gebiet. Im Schritttempo geht es über minenverseuchte Pisten und dann geraten die Truppen tatsächlich in einen grausamen Hinterhalt, den fünf Soldaten mit dem Tod bezahlen.

Mit psychologischem Feingefühl zeigt der 1982 in Turin geborene Paolo Giordano, auf wie verschiedene Weise die Überlebenden mit dem traumatischen Erlebnis umgehen, sich den Fragen nach Schicksal, Schuld und Verantwortung stellen oder entziehen. Eines gilt dabei für alle: Sie werden nie wieder die Gleichen sein wie zuvor und versuchen sich in den Jahren nach dem Einsatz  selbst davon zu überzeugen, „dass nichts von dem, was geschehen war, wirklich geschehen war.“

In Zeiten, in denen die Sicherheit Deutschlands und Europas angeblich auch am Hindukusch und anderswo in der Welt verteidigt werden, spürt dieser Roman den existentiellen Konsequenzen der militärischen Auslandseinsätze für den einzelnen Menschen nach und hinterlässt dabei ein Gefühl von Hilflosigkeit und Betroffenheit.

Karsten Herrmann

Paolo Giordano: Der menschliche Körper. Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Rowohlt Verlag 2014. 412 Seiten. 19,90 Euro, eBook 16,99 Euro.

 

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