Patrick Rotman: Die Seele in der Faust
Wer glaubt, dass Quentin Tarantino sich seine jüdische Freischärlertruppe in „Inglourious Basterds“ komplett aus den Fingern gesogen hat, kann sich durch Patrick Rotmans „Die Seele in der Faust“ eines Besseren belehren lassen. Es gab tatsächlich im besetzten Frankreich eine Gruppe von Partisanen, die den Nazis ihre eigene Medizin zu schmecken gab: Terror. Ihr spektakulärster Erfolg war das Attentat auf den SS-Standartenführer Julius Ritter am 28. September 1943 mitten in Paris. Patrick Rotman hat die reale Geschichte dieser Gruppe namens FTP-MOI (Francs-tireurs et partisans – Main-d’œuvre immigrée) seinem Roman zu Grunde gelegt – für historisch interessierte Leser liefert das ausführliche Nachwort von Elfriede Müller die wichtigsten Fakten nach.
Natürlich waren die Mitglieder der FTP-MOI, anders als Tarantinos Basterds, keine Amerikaner. Sie waren Immigranten meist jüdisch oder armenischer Herkunft. Und sie waren Kommunisten – ihre Aktionen wurden nicht von Washington, sondern von Moskau aus koordiniert. Rotman erzählt die Geschichte dieser Gruppe, angefangen von der Rekrutierung bis zur Hinrichtung der meisten ihrer Mitglieder Ende 1943. Es ist eine Geschichte, die alles hat, was eine gute Geschichte braucht: Schurken und Helden, Action, Liebe, Verrat. Und es scheint verführerisch, diese Geschichte als melodramatischen Reißer zu erzählen, als Geschichte eines heroischen, letztendlich aussichtslosen, aber dennoch nicht vergeblichen Kampfes. Doch das Resultat einer derartigen Erzählung wäre bloßer Resistance-Kitsch, ein billiges Vehikel zur Identifikation mit den moralischen Siegern der Geschichte.
Fakten & Fiktionen
Rotman hat dieser Versuchung widerstanden. Statt eines einfachen Historienromanes erzählt er die Geschichte indirekt, und zwar nicht einfach, sondern sogar doppelt gebrochen. Ich-Erzähler des Romans ist ein Regisseurs namens Patrick Versau, der einen Spielfilm über die FTP-MOI plant. Er will die Geschichte der FTP-MOI erlebbar machen, indem er die eines einzelnen Partisanen, Sascha Altberg, erzählt. Dieser will, so plant es der Regisseur, in den finsteren Zeiten der Besatzung, wo ihm als Kommunisten und Juden tagtäglich der Tod droht, seinen Tod wenigstens selbst wählen, indem er mit der Waffe in der Hand gegen die Nazis kämpft. Wir erleben nun einerseits, wie der Regisseur mit Zeitzeugen spricht, mit Saschas überlebendem Bruder Paul, mit Serge, dem Militärchef der Partisanengruppe, aber auch mit dem für die Verhaftung verantwortlichen Bullen Rodier und anderen. Parallel dazu aber lesen wir Szenen aus seinem Drehbuch-Entwurf.
In dieser gedoppelten Struktur liegt der eigentliche literarische Kniff des Romans: Wir erfahren dieselbe Geschichte zweimal, einmal in der selbst bereits fiktiven Erzählung der Zeitzeugen und dann noch einmal in Form der Drehbuchszenen, die ja die Fiktionalisierung der ersten Fiktion darstellen. Damit kann Rotman im Roman selbst die Probleme thematisieren, die dann auftreten, wenn man ein komplexes historisches Geschehen als einfache Geschichte von Helden und Schurken erzählen will: Die Drehbuchszenen führen uns scheinbar direkt an die Schauplätze des Geschehens, wir haben den Eindruck unmittelbar dabei zu sein, doch in Wirklichkeit sind sie potenzierte Fiktion, nämlich die immer hilfloser werdenden Versuche des Ich-Erzählers, sich einen Reim auf das widersprüchliche Verhalten der historischen Akteure zu machen, auf die Verfälschungen, Geschichtsklitterungen und auch direkten Lügen, mit denen er sich konfrontiert sieht.
Da ist zum Beispiel Saschas Geliebte Éva, deren Eltern deportiert werden, die aber dennoch mit den Behörden zusammenarbeitet, damit diese die Gruppe verhaften können; und die nach dem Krieg ihre offensichtlich nach wie vor guten Beziehungen zum Apparat nutzt, um sehr erfolgreich ein Bordell zu führen. Der Regisseur im Roman steht nun vor dem Problem, diese widersprüchliche Figur (modelliert nach der sehr realen Pariser Puffmutter Lucienne Goldfarb) für seinen Film plausibel zu machen: Und das Bild, das er dafür findet, ist das einer sado-masochistische Beziehung Évas zum dem Geheimdienstbullen Rodier, in der die Rollen nicht so eindeutig sind, wie man es in der schwarz-weißen Welt der Heldenepen gerne hätte.
Bilder & Wahrheiten
Doch im Laufe der Recherchen nehmen Versaus Probleme, für die historische Wahrheit Bilder zu finden, immer mehr zu. Die wahre Geschichte erweist sich als zu komplex, als dass sie mit dem einfachen Filmschema eines strahlenden Helden im Kampf gegen das absolut Böse bewältigbar wäre: Das Ganze muss entweder im Kitsch enden oder im Verrat an der gerechten Sache, für die die FTP-MOI einstand und für die sie am Ende mit dem Leben der meisten ihrer Kämpfer bezahlte. Und so gibt Patrick Versau am Ende des Romans desillusioniert sein Filmprojekt auf.
Nicht so sein Autor Patrick Rotman (der im Übrigen in Frankreich ein profilierter Filmemacher ist). Woran der Film im Roman scheitert, gelingt dem Roman bravourös. Indem er die Schwierigkeiten beim Darstellen der historischen Wahrheit mit zum Thema macht, ist er in der Lage, die einfachen Schwarz-Weiß-Schemata zu durchbrechen, ohne in historischen Relativismus zu verfallen. Und dabei dennoch eine aufregende Geschichte über Kampf, Liebe und Verrat in finsteren Zeiten zu erzählen.
Michael Koltan
Patrick Rotmann: Die Seele in der Faust. (L’Ame Au Poing, 2004). Deutsch und mit einem Nachwort von Elfriede Müller. Reihe Noir im Verlag Assoziation A. 214 Seiten. 18,00 Euro.