Geschrieben am 3. Februar 2008 von für Bücher, Litmag

Paul Auster: Reisen im Skriptorium

Der General in seinem Labyrinth

Paul Auster inszeniert ein postmodernes Spiel wie aus dem Lehrbuch. Von Petra Vesper

Reisen im Skriptorium ist ein typischer Auster-Roman – selten kann man als Rezensent mit so dürren Worten das ganze Dilemma eines Buches umschreiben. Denn seinen Fans liefert der Autor in dem schmalen Bändchen eine geballte Dosis „Austereskes“, seinen Gegnern aber tausend gute Gründe dafür, warum sie Paul Auster noch nie mochten – und für all diejenigen, die noch nie etwas aus der Feder des amerikanischen Schriftstellers gelesen haben, dürfte das Ganze weitestgehend unverständlich bleiben. Denn die Reisen im Skriptorium sind nicht weniger als eine Einladung zu einer Exkursion in die Schreibstube des Meisters selbst: Ein Roman, hochgradig selbstreferentiell, ein absolut hermeneutisches Kunstwerk, das nichts anderes als die Literatur selbst thematisiert und das zu keiner Zeit vorgibt, so etwas wie Wirklichkeit abbilden zu wollen.

Ein alter, gebrechlicher Mann sitzt in einem kahlen Zimmer – vielleicht wird er gefangen gehalten, vielleicht ist er auch freiwillig dort. Der Leser weiß es nicht – genauso wenig wie der alte Mann selbst, der anscheinend unter Demenz leidet. Ebenso wenig scheint er zu wissen, dass er rund um die Uhr überwacht wird, dass Mikrophone und eine Kamera im Zimmer installiert sind. Wer sind seine Überwacher? Auch das erfährt der Leser nicht. Diese Unschärfe, dieser Schwebezustand, ist Programm in vielen Auster-Romanen – und so auch diesmal: „Wer ist er? Was tut er hier? Wann ist er angekommen und wie lange wird er bleiben? … Wir wollen die Person in dem Raum künftig als Mr. Blank bezeichnen.“, informiert eine namenlos bleibende Erzählerstimme den Leser. Ein programmatischer Name: „Mr. Blank“ – der alte Mann ist nichts als eine Leerstelle, ein Platzhalter.
Auf seinem Schreibtisch entdeckt er ein Typoskript eines gewissen „John Trause“, das er Stück für Stück liest: Der Bericht eines Gefangenen, offenbar zum Tode verurteilt, in der Garnisonsstadt Ultima. Das Buch im Buch ist abenteuerliche Geschichte voller Liebe, Verrat, Betrug – und damit deutlich „gehaltvoller“ als die Rahmenhandlung. Mittendrin jedoch bricht die Erzählung ab und Blank wird aufgefordert, sie weiter zu schreiben.
Auf seinem Schreibtisch entdeckt der alte Mann außerdem einen Stapel Fotos von Menschen, die ihm irgendwie bekannt vorkommen, an die er sich jedoch nicht erinnern kann. Zusätzlich erhält er im Laufe des Tages Besuch von Personen, die ihm irgendwie bekannt scheinen, und die ihm – wie etwa die Pflegerin Anna Blume oder der Ex-Polizist James P. Flood – vorhalten, er habe sie einst auf eine gefährliche Mission geschickt. Nicht nur Mr. Blank versucht sich zu erinnern, auch dem kundigen Leser dämmert allmählich: Der Schriftsteller Paul Auster hat sich den Platzhalter „Mr. Blank“ geschaffen, um die Leerstelle allmählich selber zu füllen. Denn natürlich ist der Name „Trause“ ein Anagramm von Auster, und natürlich gibt es eine Figur gleichen Namens in „Nacht des Orakels“; natürlich stammt die Figur „Anna Blum“ aus Austers Im Land der letzten Dinge und David Zimmer kennt man aus dem Buch der Illusionen… Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, denn mit diesem „Skriptorium“ spiegelt Auster, vielfach gebrochen, sein eigenes Werk. Ein mäandernder Pfad führt durch dieses Labyrinth aus Fiktionen.

Literarisches Detektivspiel

Die Grenzen der Fiktion verschwimmen auch für die Autorenfigur „Blank“. Im Herbst seines Lebens wird der Schriftsteller von seinen Figuren eingeholt: „Ohne ihn sind wir nichts, aber das Paradoxe an der Situation ist, dass wir, die Chimären im Kopf eines anderen, den Kopf, der uns erschaffen hat, überleben werden, denn sind wir einmal die Welt geworfen, existieren wir in alle Ewigkeit weiter, und unsere Geschichten werden, auch wenn wir selbst längst gestorben sind, immer weitererzählt.“
Früh haben Auster-Kenner sein Spiel mit Verweisen und Bezügen durchschaut, lauern auf den nächsten Hinweis in diesem literarischen Detektivspiel. Doch auch für sie hat Auster am Ende noch eine Überraschung parat: Auf seinem Schreibtisch entdeckt Blank noch ein weiteres Manuskript: Es trägt den Titel „Reisen im Skriptorium“ und ist – man ahnt es – just die Geschichte Blanks, die wir auf den vorhergehenden Seiten gelesen haben. Der Autor wird also am Ende selbst zur literarischen Figur und spätestens hier verwischen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion vollends.

Es sei eine „Übung in logischer Phantasie“ sagt die literarische Figur Blank, als er aufgefordert wird, das fragmentarische Manuskript weiter zu erzählen. Und genau solch eine „Übung“ ist der Roman Reisen im Skriptorium auch für seinen Schöpfer – ein postmodernes Spiel wie aus dem Lehrbuch.

Petra Vesper

Paul Auster: Reisen im Skriptorium. Deutsch von Werner Schmitz. Rowohlt 2007. 160 Seiten. 16,90 Euro.