Eine Glückstheorie, die keine ist
– Wie es möglich ist, einen Weg aus einem Unglück zu finden, nach einem Schicksalsschlag ins Leben zurückzukehren – das ist ein großes Thema, das viele interessiert. Weil es viele selbst betrifft, weil noch mehr Menschen einen anderen kennen, dem dergleichen widerfahren ist. Darin liegt der Reiz eines Buches, wie dem von Paul Guest, das die Hoffnung deutlich im Titel trägt: „Noch eine Theorie über das Glück“. Von Carola Ebeling
Der Einschlag in sein Leben ereignet sich, als es noch ganz an seinem Anfang steht: Als 12-Jähriger hat Paul Guest einen Fahrradunfall, bricht sich das Genick – die Diagnose lautet Querschnittslähmung. Guest ist in den USA ein preisgekrönter Lyriker und Schriftsteller. Er hat daher kein Sachbuch mit Ratgebercharakter geschrieben; aber auch keinen biografisch geprägten Roman. Die Art, in der er seine Geschichte aufgeschrieben hat, lässt sich vielleicht am ehesten als autobiografischer, eindringlicher Bericht mit erzählerischen, manchmal sogar poetischen Zügen charakterisieren.
Guest erzählt chronologisch, viel Raum nehmen die Tage im Krankenhaus unmittelbar nach dem Unfall und die weitere Therapie in einer Klinik danach ein. Es ist das Leid seiner Eltern, das dem Jungen die Tragweite des Geschehenen ahnen lässt, eine Dimension, die ihm als Kind kaum fassbar ist: „Ich war zwölf. Querschnittsgelähmt. Ich wusste kaum, was das Wort hieß.“
„Sobald man krank ist, schneidet einen die Krankheit vom eigenen Leben ab.“
Er lernt schnell, auf brutale Weise. Denn die Schmerzen der notwendigen Behandlungen sind oft schlimm, die Angst diffus, drohend. Das Ausgeliefertsein an die Prozeduren, das Hinnehmenmüssen der Abhängigkeit in intimsten Breichen – denn fast nichts ist ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Diese Erfahrungen sind nicht die eines Kindes, sie machen ihn auf bestimmte Weise reifer, vieles erfasst er intuitiv – auch wenn die folgenden Sätze sicher erst dem Erwachsenen zugänglich waren: „Sobald man krank wird, schneidet einen die Krankheit vom eigenen Leben ab, von der Welt, von denen, die man liebt und die diese Liebe erwidern, man gleitet allem und jedem davon, auf Gefühle betäubendem Eis, und sucht verzweifelt nach ein wenig Trost.“
Hoffen, warten auf positive Veränderungen. Dann die Rückkehr zu den Eltern. Er wird nie wieder gehen können. Guest erzählt von Erfahrungen in der Schule. Es folgt das Studium, dessen Fortsetzung in einer entfernten Stadt: Das erste Mal ist er auf sich alleine gestellt. Seine Verzweiflung deutet er oft nur an, manchmal wirken die inneren Empfindungen wie überlagert durch das flotte, detaillierte Erzählen dessen, was konkret und leichter erzählbar ist, etwa die Macken seiner Betreuerinnen.
Berührend beschreibt er die erste sexuelle Begegnung, Verliebtheit – und rafft dann das Scheitern der Beziehung derart zusammen, dass das Spezifische seiner Erfahrung kaum erkennbar ist.
Schreiben als Rettungsanker
Die Entdeckung des Schreibens ist tatsächlich eine Art Rettung, es hilft, aus dem immerwährenden Abseits heraus eine Brücke zu bauen, eine aus Worten. Denn das Gefühl eines grundlegenden Andersseins ist prägend, trotz aller Versuche, dem Leben abzugewinnen, was denn möglich ist.
Es ist vielleicht eine Stärke des Buches, das es in gewisser Weise nicht hält, was es verspricht: Das Buch ist die längste Zeit der Lektüre keine Geschichte vom wieder gefundenen Glück, wie auch immer das überhaupt zu fassen wäre. Ängste und Einsamkeit schimmern immer wieder dunkel hindurch.
Es ist am Ende eher irritierend, wie dann die Liebe als Erlösung allem eine Wendung ins Gute geben soll. Irritierend, weil sie einfach wie ein Blitz in beide einfährt, nicht weiter ausgeführt wird. Es gibt der bis dahin erzählten Lebensgeschichte einen abrupten Schlusspunkt. So rund und sinnvoll aber lässt sich das Leben kaum erzählen.
Carola Ebeling
Paul Guest: Noch eine Theorie über das Glück. Aus dem Englischen von Malte Krutzsch. München: Kunstmann 2011. 175 Seiten. 18,90 Euro. Mehr zum Buch und mehr zu Paul in seinem Blog.