Geschrieben am 14. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Paulo Coelho: Elf Minuten

Zwischen Lust und Leidenschaft

In seinem Roman Elf Minuten reflektiert der brasilianische Bestsellerautor Paulo Coelho über Sex und Liebe und hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.

Maximal elf Minuten dauert der sexuelle Akt beim Besuch einer Prostituierten. Elf Minuten, für die reiche Männer im Edelbordell „Copacabana“ in Genf mehr als 350 Franken ausgeben. Elf Minuten, vor denen Manager, Geschäftsleute, Banker, die bei ihrer Arbeit mächtig und arrogant sind, die sich tagsüber mit Angestellten und Kunden herumschlagen, die mit Heuchelei und Unterdrückung umgehen können, trotzdem riesige Angst haben. 45 Minuten minus die Zeit, die zum Ausziehen, für ein paar Zärtlichkeiten, etwas Small Talk und wieder Anziehen draufgeht. Elf Minuten, in denen die Prostituierten alles tun, damit sich ihre Kunden nicht schämen müssen.
Elf Minuten heißt das Buch, das der brasilianische Bestsellerautor Paulo Coelho schon lange über Sexualität, Liebe, Lust und Erotik schreiben wollte, für das er schon lange nach einem Plot und einer Protagonistin gesucht hat. Erst durch eine zufällige Begegnung mit einer Prostituierten in Genf, auf deren Lebenslauf Elf Minuten basiert, bekam er die nötigen Impulse. Und seine Fans sind begeistert: seit seinem Erscheinen stürmt der trotz seiner brisanten Thematik märchenhaft-romantische Roman die internationalen Bestsellerlisten.

Samba in Genf

„Es war einmal eine Prostituierte namens Maria“ – Coelhos Hauptfigur ist ein junges Mädchen aus der brasilianischen Provinz. Aufgewachsen in einem kleinen Nest, mehrfach von der Liebe enttäuscht, reist Maria mit 19 auf der Suche nach Abenteuern und einem Mann, der sie aus ihrem öden Provinzdasein befreit, nach Rio de Janeiro. Gleich am ersten Tag trifft sie einen Schweizer Geschäftsmann, der ihr einen Vertrag als Sambatänzerin in Genf anbietet. Sie nimmt an und überliest das Kleingedruckte. Finanziell ausgebeutet, ohne Freunde und Geld für den Rückflug ist sie in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht versteht, völlig auf sich selbst gestellt.
Maria beginnt, Französisch zu lernen. Um sich eine größere finanzielle Unabhängigkeit und die Möglichkeit, nach Brasilien zurückzukehren, zu erarbeiten, kündigt sie im Tanzlokal und sucht sich eine Stellung im edelsten Bordell der Stadt – nur für eine kurze Phase ihres Lebens, wie sie sich vornimmt. Um sich dabei nicht selbst zu verlieren, hält sie ihre Erfahrungen und Gefühle in einem Tagebuch fest und versucht ihr Ziel, einen Mann fürs Leben zu finden, niemals aus den Augen zu verlieren.

Unverklemmt und souverän

Stilistisch hat Coelho sein Thema im Griff. Unverklemmt und souverän nähert er sich gewagten Sexszenen, geschickt umschifft er selbst bei der Analyse der Gefühle Marias zu einem berühmten Künstler die Klippen trivialer Klischees, an denen vergleichbare Liebesgeschichten gewöhnlich zerschellen. Weniger souverän sind die willkürlichen Perspektivwechsel, mit denen er sich Beschreibungen vereinfacht, und das lehrmeisterliche Wissen, das er so oft einstreut, wie es ihm beliebt. Einige Dialoge, Szenen und Gedanken verlieren so ihre Eigenständigkeit und wirken wie ausschmückende Beigaben zu einem Vortrag über Liebe und Sex: Coelho doziert und der Leser soll ihm folgen. Diese unbeholfene Pädagogik des guten Willens läuft der identifikatorischen Intensität zuwider, die Elf Minuten an anderer Stelle hat.

Coelho erzählt eine einfach gestrickte Geschichte ohne doppelten Boden mit einem Happy End à la Pretty Woman – ein modernes Märchen, wie schon der erste Satz vorwegnimmt. Der Erfolg des Romans lässt sich wohl damit erklären, dass Coelho genau weiß, was er seinen Fans schuldig ist. Er streut religiöse und esoterische Botschaften ein, die dem Leser auf der Suche nach persönlicher Erfüllung helfen sollen. Außerdem lässt er den Traum von absoluter Liebe dort in Erfüllung gehen, wo die wenigsten danach suchen würden.

Markus Kuhn

Paulo Coelho: Elf Minuten. Diogenes Verlag 2003. 282 Seiten. 19,90 Euro.