Plastische Figuren, spannende Geschichte, faszinierendes Tier
– Wer sich jetzt sagt: Ach, den Film hab ich schon 50-mal gesehen, da muss ich nicht auch noch das Buch lesen, der liegt falsch. Muss er nämlich doch. Oder sollte er jedenfalls. Denn wem der Film gefallen hat, der wird die Buchvorlage von „Der weiße Hai“ geradezu verschlingen (sorry, der musste sein). Von Tina Manske.
Peter Benchley hat eine für einen Autor extrem hilfreiche Eigenschaft: er kann Dialoge schreiben. Dialoge, die nicht gestelzt sind, die sich lesen, als höre man am Strand ein paar Fremden zu. Und die Übersetzerin Vanessa Wieser hat ihren Job gut gemacht, diese Dialoge ins Deutsche zu bringen. „Der weiße Hai“ erzählt – ein bisschen auf Hemingwaysche Weise – die gute alte Geschichte von starken männlichen Egos, Eifersucht, Gier und Konkurrenzkampf, nur dass er das Ganze vor dem Tableau eines verschlafenen amerikanischen Küstenstädtchens spielen lässt, das jeden Sommer von Touristen überrannt wird. Bis etwas dazwischenkommt.
Im Gegensatz zum weltbekannten Film legt Peter Benchley in seinem Buch großen Wert auf die Formung seiner Charaktere. Die Stimmung in dem Badeort Amity, dessen (scheinbarer) Frieden durch das plötzliche Auftauchen (hihi) eines todbringenden weißen Haies erschüttert wird, überträgt sich schnell auf den Leser. Insbesondere die Rivalität zwischen Polizeichef Brody und dem Haiexperten Hooper, der schon bald in Amity auftaucht und nicht nur Brodys Frau den Kopf verdreht, ist sehr überzeugend gestaltet. Benchley macht es dem Leser leicht, den Figuren zu folgen, die sehr plastisch werden, egal, ob sie sich Kaffee kochen oder kotzend neben einer frisch vom Hai angeknabberten Leiche stehen.
Was diese Ausgabe besonders spannend macht, sind die zusätzlich beigegebenen Begleitmaterialien von Benchley, in denen der Autor, nach seinem Erfolg mit seinem Buch zum Meeresbiologen und ökologischen Aktivisten gereift, sich für Haie und ihre Erhaltung in ihrem angestammten Habitat einsetzt. Bis zu seinem Tod im Jahr 2006 machte er den Kampf für die Riesenfische zu seiner Hauptaufgabe – auch, um ihnen etwas zurückzugeben dafür, dass sie ihn berühmt gemacht hatten.
Das Buch bietet dem Leser eine spannende Geschichte und bringt ihm ein faszinierendes Tier näher – Wobei man mit der Zeit zu zweifeln beginnt, wer da das tatsächliche Raubtier ist. Im Vorwort beschreibt Benchley, was die Produzenten des Films allerdings schon beim ersten Meeting verlauten ließen: „’Dieser Film wird von A bis Z eine Abenteuergeschichte sein, mit geradlinigem Verlauf, und deshalb möchten wir, dass Sie den ganzen romantischen Kram, das Mafia-Zeugs und alles, was lediglich ablenkt, herausnehmen.’“ Wer auf gut gemachten romantischen Kram und Mafia-Zeugs steht, der sollte hier also zugreifen.
Tina Manske
Peter Benchley: Der weiße Hai (Jaws, 1974). Roman. Mit einem Vorwort und einem Essay von Peter Benchley. Neu übersetzt von Vanessa Wieser. 309 Seiten. 23,90 Euro.