Eine „Great Dutch Novel“
– Mit einem starken Debüt, in dem er den mitreißenden Aufstieg und Fall einer Familie beschreibt, betritt der Niederländer Peter Buwalda die internationale Literaturbühne – und wird dafür schon jetzt mit den Größten seiner Zunft wie Jonathan Franzen oder Patrick Roth verglichen. Von Karsten Herrmann
Im Mittelpunkt von „Bonita Avenue“ steht Siem Sigerius, ein Charakterkopf mit Ecken und Kanten: Als niederländischer Judo-Meister und brillanter Mathematiker hat er es zum hoch geachteten Rektor der Tubantia University in Enschede gebracht und wohnt mit seiner Familie in einem gemütlichen Bauernhaus auf dem Campus. Die Familie scheint zum Glück bestimmt und das niederländische Idyll perfekt – doch im Innersten ringt die gesamte Familie „verstohlen mit der Wahrheit“ und im Laufe der Erzählung werden die Geister der Vergangenheit dabei ebenso erweckt wie die Lügen der Gegenwart entdeckt.
So betritt Siems missratener und verstoßener Sohn aus erster Ehe nach langer Haftstrafe die Bühne und seine heiß geliebte und angenommene Tochter Joni zieht mit ihrem Freund Aaron heimlich ein anrüchiges und höhst profitables Internet-Geschäft auf. Zugleich steht Siem vor seinem nächsten Karrieresprung und wird als nächster Wissenschaftsminister der Niederlande gehandelt. Doch immer mehr verstrickt er sich in einem Dickicht aus Liebe, Betrug, Angst und Hass. Mit der aufsehenerregenden und auf historischen Tatsachen beruhenden Explosion der Feuerwerksfabrik in Enschede im Mai 2000 fliegt auch Siems Leben auseinander und er muss sich verzweifelt fragen: „Denn was wissen wir voneinander? Was wissen Väter überhaupt?“
Packendes Spiel um Schein und Sein
Der 1971 in Brüssel geborene und heute in Haarlem lebende Peter Buwalda zeigt sich in seinem Debüt als ein begnadeter Erzähler. Scheinbar mühelos lässt er die Welt in all ihrem Reichtum und mit all ihren Nuancen in einem sinnlichen, mitreißenden Wortstrom aufgehen und steigert dabei stetig die psychologische Spannung. Schon in den ersten Zeilen schafft Buwalda mit Siem Sigerius einen eindrucksvollen und ambivalenten Charakter, der durch das ganze Buch trägt. Sekundiert wird er durch die energische und bildhübsche Joni, die immer den kürzesten Weg zum Erfolg wählt und später in Amerika eine zweifelhafte Karriere macht sowie durch Aaron, der aus Liebe mitläuft und schließlich in eine schwere Depression stürzt. Buwaldas Tonlage reicht analog zu den „Modulationen des Schicksals“ so auch vom getragenen Adagio bis zum rasenden Prestissimo – und gegen Ende (über-)zieht er die Register der Grausamkeit bis zur schieren Unerträglichkeit.
Formal ist „Bonita Avenue“ ein äußerst elegant komponierter Roman, der virtuos die Erzählperspektiven zwischen den Hauptprotagonisten wechselt und beständig zwischen Gegenwart und Vergangenheit oszilliert. Inhaltlich bietet der Roman ein packendes Spiel um Schein und Sein, um Moral und Doppelmoral und die aufeinander prallenden Lebensentwürfe und Erwartungen der Generationen.
„Bonita Avenue“ ist eine „Great Dutch Novel“, die es in der Tat mit ihren großen amerikanischen Vorbildern aufnehmen kann und sich dabei letzten Endes als eine Tragödie „ohne auch nur eine Spur von Katharsis“ zeigt.
Karsten Herrmann
Peter Buwalda: Bonita Avenue. Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. Rowohlt 2013. 640 Seiten. 24,95 Euro. Das Blog zum Roman von Peter Buwalda. Verlagsinformationen zum Buch.