Geschrieben am 6. Oktober 2012 von für Bücher, Crimemag

Petros Markaris: Zahltag und Finstere Zeiten

Steuereintreiber, Racheengel, Volksheld

–  Petros Markaris hat sich seit einigen Jahren auf die griechische Finanzkrise kapriziert: Mit „Zahltag“ legt er nach „Faule Kredite“ nun den zweiten Band der geplanten Krisen-Trilogie vor; außerdem hat er seine Essays und Kommentare zum Finanzdebakel in „Finstere Zeiten“ veröffentlicht. Von Peter Münder

Ein Ende dieser unendlichen Krisengeschichte ist auch für Petros Markaris, 75, den Experten des griechischen Debakels, nicht absehbar. Er hatte ja schon vor 2004, dem Athener Olympia-Jahr, angesichts eines irrwitzigen Baubooms im Roman „Live“ die Frage nach der Finanzierung dieser aberwitzigen Immobilienblase gestellt. Seit 2009 hat er nun den Weg ins Finanzchaos mit Analysen und Kommentaren begleitet und seinen Kommissar Kostas Charitos in mysteriösen Mordfällen ermitteln lassen, die als kriminelle Kollateralschäden aus der Krise resultierten.

„Als ich 2009 ankündigte, über die griechische Krise eine Trilogie zu schreiben, hielten mich die meisten Griechen für verrückt, weil sie entweder gar keine Krise wahrnehmen wollten oder sie in kurzer Zeit für beendet sahen“, erklärte der Bestseller-Autor jetzt während seiner Lesung beim Hamburger Harbour Front Festival.

Inzwischen kann er sich schon vorstellen, den vierten Band anzugehen – der dritte ist jedenfalls fast fertig. Und die Nachrichten der von Bodyguards beschützten Troika-Experten in Athen sind ja auch so unerquicklich, dass alles möglich scheint: ein Euro-Ausstieg ebenso wie die Rettungsschirm – Verlängerung nebst Aufstockung, auch zunehmende instabile politische Verhältnisse mit einem daraus resultierenden Regierungswechsel.

Der temperamentvolle, humorvolle Autor Markaris spricht perfekt Deutsch, er hat den „Faust“ ins Griechische übersetzt und schüttelt auch ganz flott prägnante, passende Brecht-Zitate aus dem Ärmel. Er redet nicht lange um den heißen Brei herum: Natürlich seien die Griechen selbst für die gegenwärtige Misere verantwortlich – eigentlich schon seit 1981, als sie das süße Subventionsdasein mit dem Eintritt in die EWG zu schätzen lernten. Damals sprudelten die ersten Gelder aus Brüssel in den griechischen Staatshaushalt: „Aber die Griechen gingen immer davon aus, dass irgendwelche großzügig verteilten Kredite nie zurückgezahlt werden müssen und hielten das Leben auf Pump für die natürlichste Sache der Welt. Und sie verließen sich auf die Mechanismen einer gut geölten Vetternwirtschaft sowie auf einen Parteienfilz, der zuverlässig seine Klientel bediente.“ Angestellte im Parlament erhielten jahrelang 16 Monatsgehälter, Millionäre konnten sich mit Bestechungsgeldern bei Steuerbeamten freikaufen oder mit juristischen Tricks Zahlungen über Jahre verschieben.

Pleite, Clans und die mentale Krise

Aber nun haben die Clans der drei Familien Karamanlis, Papandreou und Mitsotakis alle Kredite verpulvert, die auferlegten Sparmaßnahmen ruinieren die kleinen Leute, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 52 Prozent, viele arbeitslose Akademiker planen die Auswanderung: „Der griechische Staat ist die einzige weltweit operierende Mafia-Gruppierung, die es geschafft hat, pleite zu gehen“, verkündet Petros Markaris während seiner Hamburger Lesung (souverän moderiert von Tobias Gohlis, deutscher Text: Sebastian Dunkelberg). Was Markaris so überzeugend und glaubwürdig macht, ist diese rücksichtslose Offenheit und sein Verzicht auf Oberlehrer-Attitüden: „Ein Patentrezept für schnelle Lösungen habe ich aber auch nicht“, erklärt er. Fest steht für Markaris jedenfalls, dass es in Hellas nicht nur um eine Finanzkrise geht, sondern vor allem um ein mentales Problem: Wenn die Hellenen meinen, in Berlin, Washington oder Brüssel wären die wahren Verantwortlichen zu suchen, dann sei ihnen eben nicht zu helfen.

In „Faule Kredite“ (2011) übte noch ein erbostes Opfer der Wirtschaftskrise Selbstjustiz und enthauptete geldgierige Bankster und andere Finanzjongleure mit einer Machete. Jetzt hält offenbar ein Fan der griechischen Antike die Zeit für den finalen Zahltag gekommen: An archäologischen Ausgrabungsstellen findet Kommissar Charitos mit Schierling getötete Männer, einer wurde sogar mit einem Pfeil zur Strecke gebracht. Anonyme Hinweise im Internet ergeben, dass die Toten Steuerbetrüger waren, die trotz hoher Einkommen nur minimale Summen ans Finanzamt abführten oder hohe Kredite und EU- Fördergelder bekamen, die sie nicht zurückzahlten. Dann meldet sich ein „nationaler Steuereintreiber“, der akribisch recherchiert hat und diese Skandale aufdeckt. Er bietet an, von weiteren Steuerbetrügern hohe Summen einzutreiben und fordert dafür eine Provision. Als er innerhalb von zehn Tagen fast acht Millionen Euro einnimmt, die er an die Staatskasse weiterleitet, wofür ihm jedoch kein Erfolgshonorar gezahlt wird, läuft vieles aus dem Ruder. Der Steuereintreiber kennt nun keine Rücksichten mehr und intensiviert seinen Rachefeldzug: „Dermaßen hohe Einnahmen innerhalb eines so kurzen Zeitraums wären von einem verfilzten und ineffektiven Staatsapparat wie dem griechischen niemals erzielt worden“, hatte er in einer E-Mail an den Finanzminister geschrieben. Sein Faible für die klassische Antike bringt er sogar mit ausführlichen Zitaten aus der „Ilias“ zum Ausdruck. Als diese Interna an die Öffentlichkeit geraten, wird der Steuereintreiber prompt als Volksheld gefeiert: Demonstranten sammeln für ihn Spendengelder und verlangen, er solle auf dem Syntagma-Platz eine Rede halten.

Petros Markaris

Blut & Komik

Wir sehen: Blutige Tragik und eine grotesk wirkende Situationskomik bestehen hier unmittelbar nebeneinander.

Das deprimierende Anfangsszenario in „Zahltag“ zeigt die düstere Realität im Athen dieser Tage: Vier Rentnerinnen, die sich die teuren Medikamente wegen entfallener Zuzahlungen der Krankenkassen nicht mehr leisten können, haben gemeinsam Selbstmord begangen – mit dieser traurigen Szene, einer Zustandsbeschreibung der erbärmlichen sozialen Verhältnisse, wird Charitos direkt konfrontiert. Kein Wunder, wenn die Volksseele angesichts dieser pervertierten Verhältnisse hochkocht: Die einen können sich nicht einmal lebensrettende Medikamente leisten, während Plutokraten zwar Millionen verdienen, doch die fälligen Steuerzahlungen einfach unterschlagen. In der äußerst lebhaften, sehr informativen Diskussion mit dem Publikum und dem Moderator Gohlis wies Markaris während seiner Lesung auf die Gefahr der erstarkenden neofaschistischen „Morgenröte“-Gruppierung hin und auch darauf, „dass wir Griechen zwar immer eine Kultur der Armut hatten, mit der wir gut umgehen konnten – aber wir haben es nie gelernt, mit einer Kultur von Reichtum und Luxus umzugehen“. Daher dann die Tendenz, parasitär-hedonistisch aus dem Vollen zu schöpfen und das Planen für kritische Zeiten einfach zu vergessen – nach dem Motto: Wir werden uns schon mit Beziehungen, Bestechungsgeldern oder sonst wie durchmauscheln.

Im trotz allem noch heimeligen Mikrokosmos des Kommissars Charistos wird es zwar extrem turbulent, als die Tochter Katerina sich einen neuen Job suchen muß und die Tränen der Mutter wie im letzten Akt der „Aida“ fließen, während Kostas Charistos die theatralische Aufregung nicht verstehen kann. Er studiert wie eh und je sein geliebtes großes Demitrakos- Lexikon, in dem ihn besonders das Stichwort „Beförderung“ interessiert. Und er betätigt sich als eifriger Staumelder, der dem Leser genau mitteilt, welche Athener Straßen mal wieder verstopft und unpassierbar sind. Das wirkt zwar allzu ausführlich und übertrieben, andererseits trägt es dazu bei, das ohnehin schon ziemlich trostlose Lokalkolorit wie in einem hyper-realistischen Dokumentarfilm vor uns gemächlich passieren zu lassen. Wie der Kommisar dann dem nationalen Steuereintreiber auf die Spur kommt und dessen Trauma im Umgang mit den Behörden als Rachemotiv aufdeckt, das ist von Markaris ebenso schlüssig wie spannend beschrieben. Dass Petros Markaris aber nicht nur ein großartiger Krimiautor, sondern auch ein Sozialanthropologe mit einem scharfen, kritischen Blick für das Krisenverhalten bedrängter Menschen ist, hat er auch mit diesem zweiten Band seiner griechischen Krisen-Trilogie wieder eindrucksvoll bewiesen.

Peter Münder

Petros Markaris: Zahltag. Ein Fall für Kostas Charitos. Deutsch von Michaela Prinziger. Zürich: Diogenes 2012. 420 Seiten. 22,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Ders.: Finstere Zeiten. Zur Krise in Griechenland. Zürich: Diogenes 2012. 161 Seiten. 14,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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