Geschrieben am 2. Dezember 2016 von für Bücher, Litmag

Philipp Winkler: Hool

Winkler-Hool-SUHardcore-Realismus

Philipp Winkler ist mit seinem Roman „Hool“ auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gekommen und erhielt großes Lob für die authentische Ausleuchtung und Versprachlichung eines nur selten in die Literatur gelangenden Schmuddel- und Gewaltsujets. Gewonnen hat den Buchpreis dann aber doch die ebenso makellose wie elegante Novelle „Widerfahrnis“ von Bodo Kirchhoff mit ihren klassischen Protagonisten aus dem Bildungsbürgertum.

Philipp Winklers Protagonist ist dagegen einer der fast schon klischeehaften Verlierer und Abgehängten dieser Gesellschaft: Er stammt aus einer zerrütteten Familie – Mutter früh abgehauen, Vater Alki –, hat sein Abi versiebt, hat keine Ausbildung und keine Freundin mehr. Er  lebt bei Armin in einem heruntergekommen Gehöft, auf dem internationale illegale Hundekämpfe stattfinden und jobbt im zwielichtigen Fitnesscenter seines Onkels Axel.

Dieser Axel ist auch Chef der Hannoveraner Hooligan-Truppe, für die das eigentliche Spiel erst nach dem der 96er anfängt: Sie verabreden sich über PrePaid-Handy mit Hooligans aus anderen Städten und treffen sich abseits der Stadien und ihrer Überwachungskameras zum „Match“. Da steigen das Lampenfieber und das Adrenalin bis zum Anschlag, da wird der maßgefertigte Mundschutz eingelegt und „dann prallen Körper aufeinander. Fäuste und Beine werden geschwungen.“ Die Kampfszenen von Philipp Winkler gehen in die Magengrube, da fühlt man die Fäuste auf den Zähnen einschlagen, das Knie auf den Solarplexus, die Haut reißen und den Schmerz explodieren.

Im Kampf Mann gegen Mann versichert sich Heiko seiner Existenz, spürt sein Leben, das sonst so wenig zu bieten hat. Denn auch er will irgendwo landen, „wo ich das Gefühl habe, angekommen zu sein.“ Als kurz vor dem Spiel des Jahres, dem DFP-Pokal zwischen Hannover und Braunschweig, seine Kumpels kneifen und den Blinker in Richtung bürgerliches Leben setzen, spitzt sich die Situation für Heiko zu.

Philipp Winklers Prosa ist hart und zupackend und rast im Stakkato der Kurzsätze dahin. Heiko und seine Kumpels sprechen in einem fast schon überbetonten Proll- und Szeneslang, der mit Fäkal-, Anal- und Vaginalvokabular durchsetzt ist.

In die Geschichte der Hooligan-Kumpels webt Winkler Rückblenden in die Kindheit und Jugend von Heiko ein und zeigt, wie seine Schwester Manuela die Familie noch einmal versucht zusammen zu bringen. So erzählt Philipp Winkler eine Geschichte voller Gewalt, aber auch eine Geschichte voller Verzweiflung und Sehnsucht nach Werten und Orientierung.

Sein detailgesättigter Hardcore-Realismus brennt sich dem Leser dabei sofort in die Linse, erschöpft sich dann aber doch über die Seiten hinweg. Letztlich fehlen die Leerstellen, Winkel und Tiefen, in denen sich die Fantasie und Assoziationskraft des Lesers entfalten und Räume eröffnen kann. So bleibt nur harte, nackte Oberfläche.

Karsten Herrmann

Philipp Winkler: Hool. Aufbau 2016. 312 Seiten. 19,95 Euro.

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