Geschrieben am 1. Dezember 2012 von für Bücher, Crimemag

Philippe Djian: Die Rastlosen

Sex im Alter

– Philippe Djian ist uns wohlbekannt für seine rasanten, roadmoviehaften Romane wie „Betty Blue“, „Erogene Zone“ oder „Blau wie die Hölle“. Oft haben wir die Franzosen darum beneidet, dass sie so einen haben wie ihn, furchtlos, kompromisslos, aufrührerisch. Mit „Die Rastlosen“ hat Djian nun einen Roman geschrieben, in dem er sich über das Kreative Schreiben lustig macht: Die Dozenten, die Teilnehmer. Wir lachen gern mit ihm – allerdings ist er selbst ein bisschen zu sehr selbst in diese Falle getappt. Obwohl er das überhaupt nicht nötig hat. Von Christiane Geldmacher

Marc ist Literaturdozent an einer kleinen Universität in der französischen Provinz. Vom Fenster aus kann er die Alpen sehen. Früher hatte er  hochfliegende schriftstellerische Pläne, inziwschen muss er jedoch einsehen, dass es für ihn zum großen literarischen Wurf nicht reicht. Also unterrichtet er Kreatives Schreiben, um sich über Wasser zu halten. Ein undankbarer Job, Marc ist umgeben von Nichtskönnern und Hobbyautoren. Er kann sich glücklich schätzen, wenn er zwei, drei Mal im Jahr ein Talent in seiner Klasse sitzen hat.

Aber seine Studenten mögen ihn, insbesondere seine Studentinnen. Manchmal hat er was mit einer von ihnen, aber es wird nie was Ernstes draus, denn Marc ist beziehungsunfähig. Ganz furchtbare Kindheit mit einer psychotischen, gewalttätigen Mutter, er unterhält eine inzestuöse Beziehung mit seiner Schwester Marianne, die beiden haben sich schon immer gegenseitig durchs Leben geschleift.

Sie teilen sich ein Haus mitten im Wald. Marianne wohnt unten, Marc oben. Sie rauchen und streiten zu viel und versuchen, im Alltag zurecht zu kommen. Die Alltagsszenen sind die unterhaltsamsten im Buch: In Frankreich schlägt man sich mit dem gleichen Wahnsinn herum wie in Deutschland: Mit Magerquark 0 % Fett, Vogelgrippe, Creutzfeld-Jakob, Depressionen, der Skrupellosigkeit der Tabakkonzerne und dem empörenden Rating akademischer Angestellter. Und Sex im Alter. Die Protagonisten sind schon 50plus.

Und eines Morgens liegt eine Leiche in Marcs Bett. Es ist die begabte Literaturstudentin Barbara, die da langsam erkaltet, und Marc bleibt nichts anders übrig, als sich die junge Frau über die Schulter zu werfen und in einer tiefen Felsspalte im Wald zu versenken.

Natürlich beginnen jetzt die Komplikationen. Marcs Vorgesetzter an der Uni, Richard Olso (ein Mann mit erbärmlichem literarischem Geschmack), ist misstrauisch, weil eine von Marcs Studentinnen verschwunden ist. Die Stiefmutter des Opfers taucht bei Marc auf, glänzt durch ihre Reife und Erfahrung und verwickelt ihn in eine verhängnisvolle Affäre. Irgendwann kontrolliert ein Verkehrspolizist Marc in einem beklagenswerten Zustand an seinem Steuer – und landet kurze Zeit später auch in dieser tiefen Felsspalte.

Philippe Djian, Foto: A.Savin

Zu selbstreferenziell

„Die Rastlosen“ ist ein selbstreferenzieller Roman. Ein Schriftsteller schreibt über andere (in diesem Fall Möchtegern-)Schriftsteller. Das hat schon oft bei Djian geklappt, aber hier wirkt es zu vorhersehbar. Wir werden Zeuge, wie Marc sich durch die schlechten Manuskripte seiner Eleven quält. Unausgesetzt belehrt er sie, ohne dass er selbst seine hohen Ansprüche decken könnte. Er spricht vom Rhythmus der Sprache, von ihrer Musik, von der Dosierung des Tempos, von Präzision und Unschärfen; und ja, man gewinnt den Eindruck, als feiere Djian eigentlich sich selbst. Denn er kann´s ja. „… Haben Sie bemerkt, wie scharf die Beobachtungsgabe dieses Autors ist, wie souverän er seinen Plot entwickelt …?“ fragt er uns noch auf der vorvorletzten Seite.

Ehrlich? Nein, in diesem Buch haben wir das eigentlich nicht. Zu viele Handlungsfäden, zu viele Figuren Djians laufen ins Leere. Alle paar Seiten wird zu erwartbar und zu reißerisch – wie von der F-10-Taste als Textbaustein – ein weiteres Detail der schrecklichen Kindheit des Geschwisterpaars Marc und Marianne „enthüllt“, was zur Folge hat, dass sie einem völlig egal wird. Djian präsentiert uns das so, als würde er ein Plotversprechen einlösen. So präsentiert er uns auch den (vermutlichen) Feuertod der Mutter – aber auch ist zu durchsichtig.

Andere Fäden der Story werden nicht weiterverfolgt. Als Marc in seine Felsspalte hinuntersteigt, um zu sehen, was seine beiden Leichen machen, wird er dabei von seinem Kollegen Richard Olso entdeckt. Marc redet sich heraus, aber diese schöne Szene verpufft. Eine Patricia Highsmith hätte diesen Kollegen am nächsten Tag mit den Worten erneut auf Marcs Fußmatte geschickt: „Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich die Leichen in dieser Felsspalte gesehen? Ich war eben noch mal da … “

Und was wird aus Marcs Schwester? Was aus Annie Eggbaum, einer anderen Studentin, die ihm beharrlich nachsteigt? Was aus dem Inspektor, der auf dem Campus herumstrolcht und Marc mit Wettervorhersagen und Horoskopen nervt? Sie sind alle weg zum Schluss, alle verschwunden, alle tauchen nicht mehr auf.

Zu kreativ

Natürlich ist das Buch voller guter Szenen: Hey, es ist von Dijan. Immer wieder blitzt sein Genie, sein Drive, seine bildhafte Sprache auf. Trotzdem fehlt dem Buch der Fluss, der Rhythmus, das Zucken, die schnellen Dialoge. All das, was wirklich gelungene Djian-Romane ausmacht. Sein Staunen. In den „Rastlosen“ – nennen wir sie vielleicht besser „Die Lieblosen“ – ist Djian zu unausgegoren. Er entwirft zu schnell und beendet zu schnell. Es fehlt der Punch. Und ein Standpunkt. Das nächste Mal bitte wieder etwas weniger Kreatives Schreiben.

Christiane Geldmacher

Philippe Djian: „Die Rastlosen“ (Incidences, 2011). Deutsch von Oliver Ilan Schulz. Zürich: Diogenes Verlag 2012. 220 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.  Foto Djian: A.Savin, Creative Commons 3.0.
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