Geschrieben am 9. November 2011 von für Bücher, Litmag

Primo Levi: Ist das ein Mensch?/Die Atempause

Der Wille zu überleben

– Carl Wilhelm Macke über die Neuauflage der beiden zentralen Bücher von Primo Levi.

Es gab einmal eine Zeit, da waren die Bücher von Primo Levi über seine Zeit in Auschwitz und seine Flucht aus dem Ort des absoluten Schreckens in die Freiheit ständig präsent in den öffentlichen Literaturdebatten. Hier ist auch noch einmal an einen der besten je über Levi geschriebenen Texte von Philip Roth zu erinnern: „Gespräch mit Primo Levi in Turin“ (erschienen in Philip Roth „hop Talk“, 2001). Levi galt in den ersten Nachkriegsjahrzehnten als einer der ganz großen Zeugen der Massenverbrechen der Nazis, die es auch geschafft haben, ihre Erfahrungen in Worte zu überführen, wozu andere Überlebende einfach nicht die Kraft hatten. „Ist das ein Mensch“ (erschienen zum ersten Mal 1947 ) und dann die 1963 veröffentlichte Chronik seiner Flucht quer durch Europa bis in seine piemontesische Heimat waren und sind immer noch Schulbuchlektüre in Italien. In Deutschland haben sie kein Massenpublikum erreicht, aber die Resonanz bei Literaturkritikern und Zeithistorikern war einhellig positiv.

Wer etwas erfahren wollte von den Schrecken eines Überlebenden der Konzentrationslager, musste (!) die Bücher von Levi lesen. Was später dann in einigen Holocaust-Spielfilmen in manchmal schwer erträgliche Rührseligkeit abrutschte, fehlte bei den Aufzeichnungen des Naturwissenschaftlers Primo Levi fast vollständig. Ihm ging es um eine nüchterne, möglichst auch vollkommen unpathetische literarische Annäherung an Situationen, in denen immer eine Frage im Mittelpunkt stand: Ist das noch ein Mensch, der diese Folterungen erlebt, aber auch derjenige, der sie ausübt?

Und in der „Atempause“ nimmt der Leser teil an der langsamen Neu-Geburt eines Menschen, der der Hölle entflieht und sich mühsam, sogar mit Witz ein Weltvertrauen zurückgewinnen muss. Ob Primo Levi dieses neue Leben je wieder geglückt ist, war später dann noch einmal Gegenstand kontroverser Debatten über die Umstände seines Todes. Er habe sich, so die mehrheitlich bis heute vertretene Meinung, das Leben genommen, weil er nie fertig geworden ist mit der „Schuld“, die Konzentrationslager überlebt zu haben, während Millionen anderer vergast wurden.

Aber es gab auch Freunde von Levi, die heftig bestritten haben, dass Levi sich mit suizidaler Absicht 1987 das Treppenhaus in seiner Turiner Wohnung hinabgestürzt habe. Diese Kontroversen aber scheinen heute vergessen und in der Abstellkammer der Zeitgeschichte verschwunden zu sein. So wie ja auch das ganze Werk von Primo Levi heute kaum noch zur Kenntnis genommen wird. Da ist es umso verdienstvoller, dass bei Hanser jetzt als Neuauflage die beiden zentralen Werke von Levi („Ist das ein Mensch?“ und „Die Atempause“) in einem Band erschienen sind.

Sinnvolle Erweitungen

Man hat die beiden Bücher nicht vollkommen neu übersetzt, sondern die vorhandenen Übertragungen ins Deutsche korrigiert oder hier und da lesbarer gemacht. Vor allem aber hat der Verlag die beiden Romane um einen umfangreichen Anhang ergänzt, der die Lektüre wesentlich bereichert. So wurden die Antworten von Primo Levi auf Fragen seiner Leser aufgenommen, die zum Verständnis der Romane sehr wichtig sind. Man begegnet hier einem Schriftsteller und einem Menschen Levi, von dem wir die um Jahre, Jahrzehnte Jüngeren sehr viel lernen können. „Ich hatte“, so schreibt Levi an einer Stelle, „nicht nur den Willen zu überleben (den teilen viele), sondern zu überleben mit dem konkreten Ziel, zu erzählen, was wir erfahren und durchgemacht hatten. Und schließlich hat dabei vielleicht auch der von mir hartnäckig bewahrte Wille mitgespielt, stets, auch in düstersten Tagen, in meinen Gefährten und in mir selbst Menschen zu erkennen und keine Dinge und mich somit jener Erniedrigung und Demoralisierung zu entziehen, die viele in den geistigen Schiffbruch geführt hat.“

Ein Kommentar von Marco Belpoliti sowie eine lange, detaillierte Zeittafel schließen diesen Band ab. Gäbe es einen Preis für die beste Neuedition des Jahres, hätte dieses Buch ihn ohne jede Einschränkung verdient.

Carl Wilhelm Macke

Primo Levi: Ist das ein Mensch?/Die Atempause. Aus dem Italienischen von Heinz Riedt, Barbara und Robert Picht. München: Carl Hanser Verlag 2011. 617 Seiten. Eine Leseporbe (PDF) finden Sie hier.

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