Geschrieben am 26. April 2014 von für Bücher, Crimemag

Qiu Xiaolong: 99 Särge

ZD_QuiXialong_99Saerge_P02.inddAlltag mit Mord

– Wenn die Volksrepublik China noch keinen autochthonen international bekannten Autor von Kriminalromanen hat, so erledigt die Arbeit doch sehr reputierlich der Emigrant Qiu Xiaolong. Joachim Feldmann stellt seinen neuen Roman „99 Särge“ vor:

Als Direktor der Wohnungsbaubehörde in Shanghai ist Zhou Keng ein einflussreicher Mann. Gerne nutzt er seine Position zur Mehrung des eigenen Wohlstands. Immobilien, europäische Luxusautos, ein Sohn, der in England studiert – Zhou scheint den Aufstieg geschafft zu haben. Doch dann taucht im Internet ein Foto auf, das ihn mit der Packung einer exklusiven Zigarettenmarke zeigt. Und die „Menschenfleischsuche“ beginnt. So nennt man wohl in China eine Internetrecherche, die zum Ziel hat, Parteikader und hohe Beamte der Korruption und des Amtsmissbrauchs zu überführen. Im Falle von Zhou Keng scheinen die Aktivitäten der „Netzbürger“ von Erfolg gekrönt zu sein. Der eben noch so mächtige Funktionär wird in einem Luxushotel unter Arrest gestellt, um von der Disziplinarbehörde befragt zu werden. Doch bevor das Verhör richtig beginnen kann, findet man Zhous Leiche. Er hat sich erhängt.

Zumindest sieht es so aus. Eine polizeiliche Untersuchung soll den Selbstmord bestätigen und Oberinspektor Chen Cao ist beratend dabei. Schließlich hat er es inzwischen zum Vizeparteisekretär im Polizeipräsidium gebracht. Dass Chen ein scharfsinniger Ermittler ist, kann der Grund nicht sein. Schon bald nämlich hat er Zweifel an Zhous vorgeblichem Suizid. Und als einer seiner Beamten unter mysteriösen Umständen bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, nimmt Chen selbst die Spur auf.

pandazigarettenKriminalistischer Poet

Oberinspektor Chen, eine Erfindung des in Shanghai geborenen, aber seit vielen Jahren in den USA lebenden Schriftstellers Qiu Xiaolong, ist eine der interessantesten zeitgenössischen Detektivfiguren. Die westlichen Vorbilder sind allerdings unübersehbar. Und das betrifft nicht nur seine Ermittlungsmethoden. Wie Adam Dalgliesh, der intellektuelle Kriminalist aus den Romanen von P.D. James, ist Chen nicht nur Polizist, sondern auch ein erfolgreicher Lyriker. Da aber, anders als in Großbritannien, die Dichtung in China selbst zu Zeiten des Hyperkapitalismus noch eine relativ große gesellschaftliche Rolle spielt, genießt der kriminalistische Poet so manches Privileg. Dass er dennoch in ständiger Gefahr lebt, in Ungnade zu fallen, bringt die Polizeiarbeit in einem Einparteienstaat, dem jede Form von abweichendem Verhalten zutiefst verdächtig ist, mit sich. Ein Ermittlungserfolg führt dementsprechend längst nicht immer zur Verurteilung des Täters. Vor allem, wenn das Verbrechen einen politischen Hintergrund hat. Das ist auch im Fall Zhou Keng so.

Wahrscheinlich gibt es momentan keine unterhaltsamere Methode, etwas über den Alltag im heutigen China zu erfahren, als die Lektüre von Qiu Xiaolongs Kriminalromanen. Nur dass der Autor landeskundliche Informationen gerne in Form von Dialogen vermittelt, trübt das Vergnügen ein wenig. Es lässt sich beispielsweise nur sehr schwer vorstellen, dass Chen von einem Kollegen darüber informiert werden muss, dass die vormals exklusiv für den jeweiligen Parteivorsitzenden hergestellten Zigaretten nun zu horrenden Preisen auf dem freien Markt erhältlich sind, zumal er selbst Deng Xiaopings Spezialmarke „Panda“ raucht . So weltfremd ist auch ein Lyriker nicht.

Joachim Feldmann

Qiu Xiaolong: 99 Särge. Oberinspektor Chens siebter Fall (Enigma of China. 2013). Roman. Aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck. Wien: Zsolnay Verlag 2014. 288 Seiten. 17,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor. Foto: Pandazigaretten/Quelle. Mehr zu Joachim Feldmann.

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