Geschrieben am 10. April 2010 von für Bücher, Crimemag

R. Fisman/E. Miguel: Economic Gangsters

Hühnerfleisch und Hexen

Wir leben in einer ziemlich undurchschaubaren Welt. Die Globalisierung hat ihre dunklen Seiten. Verbrechen ist konstitutiv für alle Gesellschaften. Aber wie funktioniert das alles so genau, warum rentieren sich Verbrechen und wo ist der Unterschied zwischen Big Business und Kriminalität und gibt es ihn überhaupt? Fragen über Fragen, die man aus unterschiedlichen Positionen heraus stellen kann. Thomas Wörtche hat sich eine ökonomische Variante angesehen und ist enttäuscht.

Economic Gangsters, die Studie der beiden Ökonomen Raymond Fisman und Edward Miguel, ist entgegen dem Titel kein Buch über globale Wirtschaftskriminalität. Oder nur am Rande. Es ist eine bunte Anekdotensammlung über die Rolle von Zöllen, über mafia-ähnliche Familienstrukturen in Indonesien, über falsch parkende UN-Diplomaten in Manhattan, über Dürre in Afrika, Hexenverfolgungen daselbst, über Hühnerfleisch-Schmuggel in China und Schlaglöcher in kenianischen Straßen. Das etwas verlegenene Vorwort von „Transparency International“-Gründer Peter Eigen rettet sich immerhin in den Optimismus, dass den Economic Gangsters eines Tages das Handwerk gelegt werden könnte.

Analyse?

Wenn aber ein erster Schritt dazu die Analyse der Problemlage sein muss, dann kommen wir vermutlich mit Fismans und Miguels Buch nicht wesentlich weiter. Umso enttäuschender, weil der Ansatz vernünftig ist: Die beiden Autoren gehen davon aus, dass gerade das „Geschäftsmodell“ des Organisierten Verbrechens seit Al Capones Zeiten wegen der Sichtbarkeit seiner nackten Strukturen – Profit und „bedingungsloser Eigennutz“ – für Ökonomen besonders günstig zu analysieren sei. Deswegen könne „nüchterne Wirtschaftsanalyse“ und damit kombinierte Einsichten „in entlegene Weltgegenden“ dazu beitragen, die „globale Armut“ zu bekämpfen. Denn: „Armut bringt Verzweiflung und Unzufriedenheit hervor.“

Spätestens an dieser Stelle aber sollte man vermuten, dass ab jetzt die Rolle von Wirtschaftsgangstern untersucht wird, die diese Armut produzieren, nutzen, verursachen, mit ihr ihre Geschäfte machen oder sie funktionalisieren. Stattdessen lernen wir aber, dass Krieg und Gewalt in Afrika zu nicht unwesentlichen Teilen von der Dürre abhängen, die die Landwirtschaft beeinträchtigen und eine Ökonomie des Raubs und der Plünderung in Gang setzen, wie die Beispiele Tschad und Niger belegen. Warum aber die übelsten Kriege, Genozide, Vertreibungen und Ausplünderungen in rohstoffreichen, keineswegs trockenen oder von der Desertifikation bedrohten Gebieten wie Zentralafrika (Kongo, Ruanda etc.) stattfinden und wo da die Gangster-Mentalität der gierigen westlichen Nationen und Global Player, denen es um Diamanten, Coltan und andere Schlüsselrohstoffe und den daraus zu erzielenden Profiten geht, eine Rolle spielen könnte, bleibt unbedacht.

Schleierhaft …

Oder die Hexenverfolgungen: Dass in einem pauperisierten Land wie Tansania gerade ältere Frauen des öfteren als Hexen verfolgt werden, weil die arme Bevölkerung deren Altersversorgung nicht tragen kann und sie deswegen systematisch ermordet werden, ist in den 400 Einzelfällen pro Jahr (was noch nicht mal der täglichen Mortalitätsrate in den Coltanminen des Kongos entspricht), die Fisman und Miguel auflisten, schlimm genug. Dass man solche Exzesse durch die Auszahlung geringfügiger Altersrenten an alte, verwitwete Frauen dämpfen könnte und dass Tansania auch dazu zu arm ist, ist genauso schlimm wie banal. Was solche Vorgänge allerdings mit Wirtschaftsverbrechen zu tun haben, bleibt wiederum schleierhaft. Es sei denn, die tansanische Wirtschaft wäre auf Grund krimineller Machenschaften so zu Grunde gerichtet, wie es anscheinend der Fall ist. Nur ob und wie das so genau ist, erfahren wir bei Fisman und Miguel leider nicht.

Wer korrumpiert wen warum?

Spannend hebt auch das Kapitel zur chinesischen Ökonomie an. Wie wirkt sich zum Beispiel Schmuggel auf die offizielle Ökonomie des Landes aus? Warum sind hohe Zölle auf einzelne Güter wie Hühnerfleisch, Computerchips oder Bohrmaschinen sinnvoll, gerade weil dann im großen Stil geschmuggelt wird? Wer schmuggelt? Wer profitiert? Das alles hätten wir gerne gewusst, aber leider kommen Fisman und Miguel zu keinen wirklichen, substantiellen Aussagen.

Das liegt auch daran, dass die beiden Wissenschaftler eine merkwürdige Scheu haben, Organisierte Kriminalität zu benennen. Korruption ist für sie eine eher abstrakte Kategorie, vor allem, wenn sie über afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Länder reden. Aber nie wird klar gesagt, wer wen warum korrumpiert oder wie die Geldströme zu welchen Zwecken tatsächlich fließen. Die „nüchterne Wirtschaftsanalyse“ beschränkt sich auf Absichtserklärungen und kommt am Ende zu naiven Vorschlägen, wie man zum Beispiel Bagdad wieder aufbauen könnte. Nämlich durch „grundlegende Veränderungen in den gesellschaftlichen Beziehungen, in der Kultur und im staatlichen Gefüge“. Ach ja?

Überflüssig

Spätestens an solchen Stellen erweist sich das Buch der beiden amerikanischen Ökonomen als überflüssig. Verglichen mit brillanten Werken wie Caspar Dohmens Begleitbuch zu dem Film Let´s make money oder Misha Glennys McMafia, die sich wirklich die Verheerungen vornehmen, die großformatige Wirtschaftsgangster anrichten. Aber die sind eben heutzutage ganze Nationen oder multinationale Konzerne und andere Strukturen, für deren Treiben „Hexenverfolgungen“ nicht unbedingt das geeignete Beschreibungsparadigma ist.

Erschwerend hinzu kommt bei Fisman und Miguel noch die heftig didaktische, redundante Schreibweise, die manchmal dazu neigt, den Leser für blöde zu verkaufen. Rhetorische Fragen im Dauerfeuerrhythmus erreichen nicht unbedingt breitere Leserschichten, sondern schrecken eher die gutwilligen Leser ab.

Im Grunde hat das Buch sein Thema verfehlt. Es ist weder eine Untersuchung über Makrokriminalität oder eine über die Strukturen von Gewalt noch eine über die Dialektik von Gewalt und Armut. Der englische Originaltitel (Economic Gangsters. Corruption, Violence, and the Poverty of Nations) legt die beiden letzten Aspekte eigentlich nahe – und der Zustand der Welt, der in der Tat entscheidend von Gewalt und Armut geprägt ist, würde eine solche Arbeit durchaus dringend erfordern.

Economic Gangsters ist letztendlich ein recht ärgerliches Buch. Eine echte, fundierte und kluge „nüchterne Wirtschaftsanalyse“ globalen Gangstertums wäre wichtig und spannend gewesen.

Thomas Wörtche

Raymond Fisman/Edward Miguel: Economic Gangsters. Korruption und Kriminalität in der Weltwirtschaft
(Economic Gangsters. Corruption, Violence, and the Poverty of Nations, 2008).
Aus dem Amerikanischen von Thomas Atzert.
Frankfurt/Main: Campus 2009. 242 Seiten. 20,50 Euro.

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