Geschrieben am 3. April 2013 von für Bücher, Litmag

Rainer Merkel: Bo

Rainer Merkel_BoNahe am erzählerischen Offenbarungseid

– Rainer Merkel zählt spätestens seit der Nominierung seines Romas „Lichtjahre entfernt“ für die Short List des Deutschen Buchpreises zu den literarischen Schwergewichtlern in Deutschland. Und die literarische Qualität des S. Fischer Verlags, bei dem sein neuer Roman „Bo“ erschienen ist, steht sowieso außer Zweifel. Umso verwunderlicher ist es, wie dieser Roman auf der ersten Etappe einen exorbitanten Fehlstart hinlegen und dann über weitere 600 Seiten hilflos dahintrudeln kann. Von Karsten Herrmann

Die Inspiration zu „Bo“ geht auf einen Aufenthalt von Rainer Merkel in Liberia zurück, wo der studierte Psychologe und Kunstgeschichtler für Cap Anamur ein Jahr lang in einem Krankenhaus arbeitete – nicht zuletzt um hier auch eine kreative Schaffenspause einzulegen und neue Schreibideen zu sammeln.

Und so schickt Rainer Merkel seinen 13-jährigen Helden Benjamin allein mit einem Linienflug von Berlin nach Monrovia in Liberia, um dort seinen als Entwicklungshelfer arbeitenden Vater zu besuchen. Auf unerklärliche Weise verschwindet aber noch im Flugzeug die von seiner chaotischen Mutter hastig gepackte Plastiktüte mit allen wichtigen Dokumenten und Utensilien.

So landet Benjamin ohne Pass und Geld in Monrovia, dafür aber mit einem nach „Berliner Kartoffelkeller“ riechenden und, wie sich später herausstellt, mit Geld vollgestopften mausgrauen Mantel von seiner Sitznachbarin, einer seltsamen Diplomaten-Witwe. Wenig später werden seine Habseligkeiten noch durch einen rosa Schirm ergänzt, den Benjamin von dem verwöhnten und verzogenen Mädchen Brillant bekommt. Diese ist mit ihrem Onkel, einem der reichsten Männer Liberias, auf Urlaubsreise in der Heimat ihrer nun in den USA lebenden Eltern und soll im weiteren Romanverlauf noch eine tragende Rolle spielen.

Am Flughafen in Monrovia wartet Benjamin vergeblich auf seinen Vater. Doch ein korrupter Zollbeamter, eine manipulierte Reifenpanne am Auto des reichen Onkels, ein Gauner namens Harris (der sehr an die tollpatschigen Bösewichte aus „Pippi Langstrumpf“ erinnert) sowie ein Milchmann und ein Taxifahrer führen in Szenen zwischen Traum, Fantasie und Realität schließlich dazu, dass Benjamin in einem kleinen Dorf beim blinden Bo landet: „dieser komische Junge, dieser Außerirdische, der einfach vom Himmel gefallen ist.“

Es ist kaum nachvollziehbar, wie Rainer Merkel sich schon auf den ersten hundert Seiten seines Romans mit abstrus konstruierten Konstellationen und Verwicklungen überschlägt. Und auch danach bleibt der Handlungsverlauf schlichtweg unglaubwürdig und so zäh, dass das Interesse des Lesers an den Abenteuern von Benjamin, Brillant und Bo im bitterarmen und von den Folgen eines Bürgerkriegs gekennzeichneten Liberia komplett zu erlahmen droht. Nur allzu seltene Lichtblicke sind jene Passagen von sanfter Zärtlichkeit und schwebender Magie, in denen die eigentlichen schriftstellerischen Stärken Merkels aufblitzen.

Letztlich scheitert Rainer Merkel in „Bo“ auf geradezu erschütternde Weise daran, aus der Perspektive seines jungen Protagonisten einen tragfähigen und interessierenden Plot, die vom Klappentext versprochene „rasante Road Novel“ oder „coming of age“-Story zu entwickeln. So liegt dieser 700-Seiten-Roman nahe am erzählerischen Offenbarungseid und ist ein entsprechendes Ärgernis für den Leser.

Karsten Herrmann

Rainer Merkel: Bo. S. Fischer Verlag 2013. 690 Seiten. 22,90 Euro

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