Starke und wagemutige Literatur
„Wer in unserem Land den Blick zum Himmel wandte, sah den Tod auf sich herabstürzen“ – auf ebenso außergewöhnliche wie beeindruckende Weise erzählt Rawi Hage in Als ob es kein morgen gäbe die Geschichte einer Freundschaft in Zeiten des libanesischen Bürgerkriegs. Von Karsten Herrmann
Zu Anfang scheint für den Ich-Erzähler Bassam und seinen besten Freund George, genannt „De Niro“, alles noch ein Abenteuerspiel zu sein: Auf ihrem Motorrad rasen sie durch das gebeutelte Beirut mit seinen klaffenden Kriegswunden, auf der Suche nach einem Kick und schnellem Geld: „Wir waren ziellos, wir waren Bettler, Banditen, gute Araber mit lockigem Haar und offenen Hemden …“ Die Welt scheint trotz der bedrückenden Bürgerkriegslage und ständiger Bombenanschläge und Attentate noch offen zu stehen. Am Horizont leuchtet für Bassam „Roma“ als paradiesisches Ziel im Exil.
Doch unentrinnbar werden die beiden Freunde von den Bürgerkriegswirren eingeschnürt. Während De Niro zur rechten Hand des christlichen Milizenführers Abu-Nahra aufsteigt, wird Bassam zum Whisky-Schmuggler zwischen Ost- und West-Beirut. Immer mehr wird ihre Freundschaft zwischen den Fronten zerrieben und immer tiefer geraten sie in einen ausweglosen Strudel der Gewalt. Als Bassams Mutter bei einem Luftangriff ums Leben kommt, ist selbst für Trauer kein Platz mehr: „Aber ich spürte keine Trauer mehr … Wenn ich überhaupt etwas fühlte, dann war es Erleichterung. Denn nichts hielt mich mehr fest.“
Rawi Hage, der den Bürgerkrieg in seinem Heimatland selbst miterlebte, treibt seinen Roman in einem harten Beat, mit frappierender Lakonie und rasanten Zooms voran. Auf mitrei-ßende Weise zeigt er, wie Beirut ebenso wie der jugendliche Enthusiasmus seiner Protagonisten in Schutt und Asche zerfallen und die Menschen ausweglos schuldig werden. Als ob es kein morgen gäbe ist ein starkes und wagemutiges Stück Literatur mit einem ganz eigenen Sound, ein „west-östlicher Diwan“, der uns in eine Welt führt, die zugleich erschreckt und berührt.
Karsten Herrmann
Rawi Hage: Als ob es kein Morgen gäbe (De Niro‘s Game, 2007). Aus dem Englischen von Gregor Hens. Dumont 2009. 260 Seiten. 19,90 Euro.