Gegen den Strich
Rayk Wieland schreibt in seinem Roman eine Geschichte aus der DDR, wie sie ausgedachter nicht sein könnte, und die dennoch genau ins Schwarze trifft. Das Leben der gar nicht so Anderen. Von Tina Manske
Am Anfang steht ein ominöser Brief: Herr W. wird zu einer Podiumsdiskussion über die Auswirkungen der DDR-Diktatur eingeladen, zu der er, so die Veranstalter, als ehemals verfolgter Schriftsteller der DDR doch so einiges beitragen könne. Das Problem ist nur: Herr W. weiß überhaupt nicht, dass er verfolgt gewesen sein soll, und er weiß auch nicht, wieso man ihn hätte verfolgen sollen. Einzig einige Briefe und Gedichte, die er seiner damaligen Freundin in München (NSA, Nichtsozialistisches Ausland) geschickt hat, fallen ihm ein. Aber ist er als jugendlicher Liebhaber gleich ein Vertreter der „Untergrunddichtung“? W. geht der Frage nach und entdeckt tatsächlich Aufzeichnungen der Stasi, die ihn offensichtlich über Jahre hinweg beobachtet hatte und noch die pubertärsten Auswüchse der Liebe auf den propagandistischen Prüfstand stellte.
Lachfüllhörner und Philosophie
Die Aufzeichnungen des Stasi-Oberstleutnants Schnatz, der selbst in Shakespeare-Zitaten noch akute Angriffe auf die DDR-Magnaten erkennt, gehören denn auch zu den witzigsten Passagen dieses äußerst gelungenen Romans von Rayk Wieland. Mehr als einmal fragt man sich als Leser, wieviel Stoff dieser Geschichte tatsächlich dem Leben des 1965 in Ost-Berlin geborenen Autors abgerungen sein könnte. Trotz aller Lachfüllhörner, die Wieland über dieser unterhaltsamen Geschichte ausschüttet, verrät er niemals die tatsächlichen „Opfer“ der DDR-Bespitzelung. Im Gegenteil: Durch seine gegen den Strich gebürsteten Roman schafft Wieland etwas, was vielen anderen gutgemeinten Büchern mit ähnlicher Stoßrichtung nicht gelingt – eine philosophische, empathische und unterhaltsame Auseinandersetzung mit der anderen deutschen Republik.
Besonders zu empfehlen ist Kapitel sieben, in dem ein Gemälde des sozialistischen Realismus so intensiv abgeklopft wird, dass dabei die gesamte DDR-Kultur vor dem inneren Auge aufersteht. Anders aber als die offiziellen Stellen, die gerade jetzt zum 60-jährigen Jubiläum des bundesrepublikanischen Grundgesetzes keine Gelegenheit auslassen, um den östlichen Nachbarn als „Unrechtstaat“ zu bezichtigen, fällt Wieland kein Urteil, sondern unterhält den Leser, ganz ohne Propaganda.
Tina Manske
Rayk Wieland: Ich schlage vor, dass wir uns küssen. München: Verlag Antje Kunstmann 2009. 208 Seiten. gebunden mit Schutzumschlag. 17,90 Euro.