Geschrieben am 16. Mai 2015 von für Bücher, Crimemag

Ricardo Piglia: Munk

Ricardo_Piglia_MunkPhilosophie und Verbrechen

– Sie kommen einfach nicht los von ihrem Borges-Paradigma, die Argentinier, Intertextualität und Selbstreferentialität allenthalben. Manche können’s nicht so gut, andere liefern trotzdem Spitzenromane. So wie Ricardo Piglia mit „Munk“. Eine Rezension von Karsten Herrmann.

Der in seiner Heimat Argentinien schon längst als Klassiker geltende Schriftsteller Ricardo Piglia verbindet in seinen Romanen und Erzählungen immer wieder auf meisterliche Weise Elemente des Detektiv- und Kriminalromans mit philosophisch-existentiellen Themen. In seinem neuen Roman „Munk“ treibt er dieses hybride Spiel nun auf die Spitze und erfindet den amerikanischen Kriminalroman gleichsam neu für eine Welt, die „chaotisch, psychotisch, unlogisch, verflochten“ ist.

Piglias Ich-Erzähler Emilio Renzi ist als alternder Schriftsteller in eine Sackgasse geraten und hält sich als Übersetzer und Ghostwriter über Wasser. Wie gerufen kommt da die Anfrage der elitären Taylor-University vor den Toren New Yorks, für zwei Semester eine Gastprofessur zu übernehmen. Sein Thema ist der argentinisch-britische Schriftsteller W.H. Hudson aus dem 19. Jahrhundert, der für seine hymnischen Naturbeschreibungen und -bezüge bekannt geworden ist. Vor Ort lernt Renzi die junge Ida Brown kennen, die seit ihrer Dissertation über Charles Dickens zum „Star der akademischen Welt geworden ist“ und die intellektuellen Diskurse ihrer Zeit mit bestimmt. Als er eine leidenschaftliche Affäre mit ihr beginnt, entpuppt sie sich als Femme fatale mit einem Doppelleben: „Alles an ihr war geheimnisvoll, alles hatte eine Kehrseite, eine parallele Wirklichkeit.“

314px-Ricardo_PigliaNur kurze Zeit später kommt Ida Brown auf mysteriöse Weise ums Leben und das FBI ermittelt – denn ihr Tod scheint in Verbindung mit einer langen Kette von Mordanschlägen auf amerikanische Wissenschaftler zu stehen. Mit Hilfe des Privatdetektivs Parker – „der Inbegriff des amerikanischen Exbullen, patriotisch, rücksichtlos und zynisch“ – macht sich Renzi daran, Licht in das Dunkel zu bringen. Sie kommen auf die Spur des titelgebenden „Munk“, der als genialer Mathematiker aus dem Wissenschaftsbetrieb ausgestiegen ist und gegen die menschen- und naturverachtende kapitalistische Gesellschaftsform kämpft: „Die Zeit des Einzelgängers ist angebrochen, die Zeit der privaten Verschwörung, der einsamen Tat. Wir können nur Widerstand leisten, wenn wir unsere Gedanken verbergen, sie in der Menge tarnen.“ Doch was hatte Ida Brown mit diesem weltverbesserischen Psychopathen zu tun? War sie sein Opfer oder seine Mittäterin?

In postmoderner Manier spielt Ricardo Piglia in seinem Roman mit den Spannung erzeugenden Elementen des Kriminal- und Detektivromans. Er zeichnet dabei mit Analogien zur argentinischen Militärdiktatur eine Welt der zunehmend vernetzten Überwachung und Gleichschaltung und stellt die Frage, wie der Widerstand gegen eine als alternativlos erscheinende kapitalistische Gesellschaftsform unter diesen Umständen noch möglich sein kann. Dieses gesellschaftskritische Grundgerüst verbindet Piglia auf vielschichtige Weise mit literarisch-kulturgeschichtlichen Anspielungen und Exkursen – neben Herman Melville, Henry David Thoreau oder Ludwig Wittgenstein spielt dabei auch Joseph Conrads Roman „Der Geheimagent“ eine besondere Rolle. Auch wenn der Plot stellenweise etwas zu konstruiert wirkt und die Erzählperspektive nicht ganz stringent durchgehalten wird, gelingt es Ricardo Piglia in „Munk“ einmal mehr einen packenden und intellektuell funkelnden Romankosmos zu schaffen.

Karsten Herrmann

Ricardo Piglia: Munk (El camino de Ida, 2013). Roman. Deutsch von Carsten Regling. Berlin: Wagenbach. 254 Seite. 22 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor. Autorenfoto: Ricardo Piglia von Guillermo_Ramos_Flamerich. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons-

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