Verbrecherischer Versager
Das perfekte Verbrechen gibt es nicht, den perfekten Verbrecher erst recht nicht. Darüber hat Richard Stark ein spannendes Stück ironischer Kriminalliteratur geschrieben. Zu Donald E. Westlake alias Stark muss man nach den Feierlichkeiten der letzten Monate nichts mehr sagen. Aber sich einfach an einem frisch erschienen Roman nach dem altbewährten Strickmuster freuen, das soll man schon dürfen. So wie Jörg von Bilavsky
Welch ein merkwürdiger Titel: „Keiner rennt für immer“. Aber er mutet gar nicht mehr so seltsam an, wenn man Richard Starks kurioser Verbrecherbande bis zum bitter-ironischen Ende seines Romans folgt. Doch bis die Erzgauner Parker, Dalesia und McWhitney dazu kommen, einen schwer bewachten Geldtransporter zu kidnappen, müssen sie eine ganze Reihe von Hürden überwinden. Weniger organisatorische als vielmehr menschliche Probleme gilt es im Vorfeld ihrer Planungen zu lösen. Hängt das Gelingen ihres abenteuerlichen Coups doch ganz entscheidend von der Nervenstärke der Komplizen im Hintergrund ab. Und die ist leider nicht sonderlich groß.
Man ahnt von der ersten Seite an: Wenn hier nichts schief gehen soll, dann muss schon ein Wunder geschehen. Dass das Treffen einer bunt zusammengewürfelten Schar von Ex-Knackis zwecks Verbrechensplanung wegen eines enttarnten Spitzels gesprengt wird, ist schon kein gutes Vorzeichen. Aber wer ein Verbrecher aus Leidenschaft ist, der gibt nicht auf und sucht neue Herausforderungen. Und die vermittelt ihnen zumindest der naive Gauner Jake Beckham. Weiß er dank seiner intimen Beziehung zu einer Bankiersgattin doch, wann und wo sich eine Kolonne gepanzerter Geldtransporter überfallen lässt. Allerdings meint er auch zu wissen, wie man diese am besten knackt. Parker, Dalesia und McWhitney meinen es jedoch besser zu wissen und weisen Beckham und der ebenfalls geldgeilen Bankiersgattin nur Nebenrollen zu. Ein fataler Fehler – wie sich bald herausstellen wird. Hat das Trio doch den Eigensinn und die Ängste ihrer Komplizen falsch eingeschätzt. Die Gier nach den Millionen ist jedoch viel zu stark, um die Sache abzublasen.
Streckenweise sieht es so aus, dass der Coup trotz allerlei Missgeschicke gelingen könnte und sich alle Verfolger abschütteln ließen. Vor allem der hartnäckige weibliche Detective Gwen Reserve wie auch Kopfgeldjäger Keenan und seine Partnerin Sandra bereiten ihnen arges Kopfzerbrechen. Mit Lügen und Gewalt machen sie sich den Weg dennoch frei. Doch das Restrisiko bleibt. Bis zum Schluss. Bis einer rennen muss. Wohin und wie lange bleibt nur für denjenigen Leser ungewiss, der noch nicht den preisgekrönten Stark-Krimi „Fragen Sie den Papagei“ gelesen hat. Gewiss aber bleibt, dass der am Sylvesterabend 2008 verstorbene Autor mit diesem Thriller zum wiederholten Male sein Talent für knochentrockenen Witz und knochenharte Action bewiesen hat.
Richard Stark alias Donald E. Westlake und sein vor fast 50 Jahren ins Leben gerufener Berufskriminalist Parker werden nimmer rennen. Eine fast schon tragische Ironie also, die da im Romantitel steckt. Die deutschlesenden Liebhaber der ebenso gewalttätigen wie grotesken Parker-Romane müssen allerdings nicht traurig sein. Ein halbes Dutzend von ihnen sind noch gar nicht übersetzt worden. Mit der posthumen Verleihung des Deutschen Krimipreises 2009 an Stark wird sich das rasch ändern und wir werden der Fährte des verbrecherischen Versagers weiter folgen können.
Jörg von Bilavsky
Richard Stark: Keiner rennt für immer (Nobody runs forever, 2004). Roman. Deutsch von Nikolaus Stingl. Wien: Paul Zsolnay Verlag 2009. 288 Seiten. 16,90 Euro.