Geschrieben am 15. November 2017 von für Bücher, Crimemag

Roman: Agatha Christie: Passagier nach Frankfurt

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Was für ein seltsames Buch. Von 1970. Warum jetzt erstmals auf Deutsch in einem renommierten Buchverlag? Und warum steht auf dem Umschlag irgendwas vom „nationalsozialistischen Deutschland“? Agatha Christies merkwürdiges Werk „Passagier nach Frankfurt“ wirft Fragen über Fragen auf. Thomas Wörtche grübelt.

Es fängt ja ganz amüsant an: Sir Stafford Nye, ein britischer Diplomat auf dem Abstellgleis, trifft auf dem Frankfurter Flughafen eine geheimnisvolle schöne junge Frau und lässt sich aus einer Laune heraus von ihr zu einem krummen Ding überreden. Er überlässt ihr seine Identität, mit der sie in einer furchtbar wichtigen, aber nicht näher spezifizierten Mission auf Leben und Tod in London einreisen muss. Staffy, so nennen ihn seine Freunde, ist leicht verschroben, gilt als humorbegabt und deswegen im Staatsdienst als suspekt, gar als kritischer Geist. Und natürlich a good sport. Plausibel ist das natürlich nicht besonders, aber Plausibilität ist ja nicht gerade eine Säule von Agatha Christies Schaffen.  Aber was eine nette Spionage-Komödie hätte werden können, wird bald wirr. Die Welt ist nämlich bedroht. Und zwar von der Jugendbewegung der mini11960er Jahre, von der anti-autoritären Bewegung, von Studentendemonstrationen, von der lateinamerikanischen Guerillla, von gefährlichen Lektüren (Marcuse, Chomsky, Fanon), von Revolution und Umsturz, Flugzeugentführungen und Geiselnahmen, Bürgerkriegen, Vietnam und überhaupt der ganzen lästigen  Entkolonialisierung. Kurzum vom Zeitgeist, inclusive Minirock und Pop-Musik und Promiskuität (die, da ist Lady Agatha allerdings ganz gelassen, sich sicher bald wieder legen wird). Oder anders gesagt: Die Moderne ist ein scheußlicher Ort.

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Abwehrzauber

Nun gibt es ja gute Gründe, das Gesamtwerk von Agatha Christie als großen Abwehrzauber gegen die Zumutungen der Moderne zu sehen, wo Morden schon längst im großindustriellen Maßstab erledigt wurde, dem sie den Mord im Pfarrhaus als Idylle und vade retro entgegenhielt.  1970 wurde sie zudem zur „Dame Commander of the British Empire“ ernannt, die Festlichkeiten zu ihrem 80sten Geburtstag standen an, mit denen der Erscheinungstermin des Romans synchronisiert wurde.  Der dann auch prompt im UK und in den USA ein Bestseller wurde. Nur die deutsche Verlagslandschaft wollte die wagner1Finger lieber von dem Buch lassen. Das allerdings hatte weniger mit dem auf dem aktuellen Cover behaupteten „nationalsozialistischen Deutschland“ zu tun, das es im Roman nicht gibt, im Gegenteil, der deutsche Bundeskanzler, Herr Spieß, kommt als „vernünftiger Mann“ sogar gut weg. Allerdings hat das Buch dann doch irgendwie deutsche Wurzeln. Zum ersten Mal scheint sich Dame Christie 1963 mit ihm beschäftigt zu haben, als sie als hartgesottenen Wagnerianerin Friedelinde Wagner in Bayreuth kennengelernt hatte.  Und so wabert auch Wagners Musik als ultimatives Telos der Musikgeschichte und als Leitmotiv („der junge Siegfried“) durch den Roman.

Der Führer lebt

Dann gibt es eine zweite Phase, 1966, als sie von dem „der Führer lebt“ Mythos fasziniert war und eine der lustigsten Szenen (naja, die einzige wirklich lustige Szene) des Romans skizziert hatte:  Kurz vor Kriegsende besuchen Hitler und Martin Bormann eine psychiatrische Klinik, wo lauter Leute eingesperrt sind, die sich – neben den ganzen Napoleons und Caesars – für den Führer halten. Hitler tauscht mit einem solchen Patienten schnell die Identität, sitzt den Rest des Krieges in der Klapse ab und entweicht dann nach Südamerika, wo er mit einer blonden arischen Engländerin (hier spielt unsere Autorin deutlich auf die Hitler-Vertraute Unity Mitford an,  die Bücher von deren Schwester Nancy kannte Frau Christie definitiv) einen Sohn zeugt. Dieser vermeintliche Sohn, mit dem beredten Namen Franz Joseph, taucht nun also in dem Roman auf – blond, schön, brutal und arrogant – als Vertreter einer neuen neuschwansteinSuperrasse und als Identifikationsfigur für die Jugend der Welt. Denn die ganze aufmüpfige Weltjugend wird nämlich übel manipuliert, von einem, vor allem in Deutschland (die dortige Statthalterin ist ein enorm fette, hässliche, deviante und superreiche Frau, die auf einer Art Schloss Neuschwanstein residiert und ziemlich an Berta Krupp angelehnt ist) und in Südamerika (dahin und von daher fließen Geldströme), aber auch in den USA ansässigen Finanz- und Industriekonsortium (ja, Sie denken schon richtig), das nach der Weltherrschaft strebt und eine globale Hyperrasse etablieren will, die gottlose Bande.  Die Geburtsurkunde von Franz Joseph aber, die ihn eben nicht als Sohn Hitlers, sondern als hergelaufenen Komödianten, entlarven würde, war die geheime Mission der geheimnisvollen Flughafenbekanntschaft von Staffy, die Gräfin Renata Zerkowski, die der trottelige Upperclas Twit am Ende brav ehelichen wird.  

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Bis es soweit ist, jagt uns Lady Agatha allerdings durch ein Drahtverhau von – oft sinnfreien – verwickelten Plot-Splittern, seitenlange pseudophilosophische Erörterungen (die wir lieber mal nicht so ernstnehmen wollen) und lässt allerlei wunderliche Gestalten aufmarschieren, die so reden und sich so verhalten, als stehe der Viktorianismus noch voll in der Blüte. Das ist so absurd, dass es manchmal schon fast wieder rührend ist, weil es so deutlich mit dem „heutzutage“ (sicher eines der signifikantesten Wörter des Buches) gar nichts mehr anfangen kann.  So hilflos und verwirrt agiert das Buch, dass am Ende gar noch eine ziemlich sehr bizarre Idee aufkommt: Der Roman lässt eher positiv offen, ob man sich obrigkeitsseits nicht doch lieber dazu entscheidet, dem ganzen modernen Werteverfall mit einer flächendeckend zu versprühenden Psychodroge namens „Benvo“ (von „Benevolenz“) zu Leibe zu rücken, irreversibel zwar, aber dann wäre endlich Ruhe im Karton.

Was denn nun?

Leider blockiert das Buch alle wohlwollenden Lesarten: Es ist keine Paranoia-Roman-Parodie, kein, naja, verschrobener Politthriller, kein als Roman maskiertes Pamphlet. Es hat als Stück Prosa keinen Rhythmus, keine konsistente Handlung, keine Dynamik, keinen Drive, keinen Clou, keine Pointe. Im Grunde ist es ein Wortungetüm gewordenes Giga-Ressentiment. Kein Wunder, dass weder Christies Agenten noch ihre Verleger das Buch mochten, aber sie konnte sich mit ihrer Marktmacht durchsetzen.

ag1Sorry, Fans!

Ironisch allerdings, wenn man sich die LeserInnenkommentare von heute (auch die anlässlich der ersten deutschsprachigen Edition in einer exklusiven Spezialedition 2008) anschaut, die den Roman fast durchweg abscheulich finden, ist dabei, dass hier Agatha Christie pur zum Vorschein kommt – ungefiltert durch ihre putzigen DetektivInnen, ihre Märchenmorde, ihre ultraschlichte Dramaturgie, ihre „bloß niemanden überfordern“- Redundanz-Prosa, ihren strammen Nationalchauvinismus, ihren oft nur mühsam cachierten Antisemitismus und ständig mehr oder weniger subkutanen Rassismus.  All das kann man ja – in entsprechender Verdünnung der Darreichung -, in ihren Romanen leicht überlesen (so es nicht in den deutschen Fassungen getilgt wurde), nicht sehen wollen, man kann es gar liebenswert und charmant, von mir aus auch intellektuell anspruchsvoll finden. „Passagier nach Frankfurt“ bündelt all ihre problematischen Aspekte allerdings wie in einem Brennglas.  Und ob man so etwas unbedingt wieder ausgraben musste, mal rein verlegerisch gedacht? Ich will dabei ja nicht stören, aber gerade Agatha-Christie-Fans dürften keine Freude daran haben, Fälle hartnäckiger kognitiver Dissonanz ausgenommen.

Thomas Wörtche

Agatha Christie: Passagier nach Frankfurt (Passenger to Frankfurt, 1970). Deutsch von Julian Haefs. Atlantis/HoCa, Hamburg 2017. 286 Seiten,  20 Euro.

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