Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Bücher, Litmag

Roman: Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne

Capus_24899_MR1.inddKassensturz beim Schatzsucher

Auf der Suche nach dem legendären Kirchenschatz von Lima , der von Piraten auf einer abgelegenen Insel im Pazifik versteckt sein soll, machten sich Generationen von Schatzsuchern auf den Weg nach Cocos Island vor der Küste Costa Ricas, ohne jedoch irgendwelche Preziosen zu finden. Auch der „Schatzinsel“-Autor Robert Louis Stevenson, der sich 1889 auf Samoa niederließ, war fasziniert von dieser Legende. Alex Capus beschreibt in „Reisen im Licht der Sterne“ Stevensons mysteriöse Affinität zu Samoa und spekuliert über die Existenz einer „wahren Schatzinsel“, die offenbar nur Stevenson kannte und die er regelmäßig bei Liquiditätsengpässen besuchte – eine Vermutung, die ebenso spannend wie überraschend ist. Von Peter Münder

„Gut möglich, dass er die Küste Samoas hinter sich ließ und am Westkap Kurs nach Süden nahm und dass er dort die eine oder andere verschwiegene Insel besuchte. Und Tatsache ist, dass Louis unmittelbar nach diesem Ausflug kurzentschlossen sein gesamtes verfügbares Vermögen in den Kauf eines undurchdringlichen Stücks Dschungel investierte“. – Alex Capus‘ „Reisen im Licht der Sterne“, über heimliche Exkursionen von RLS , die ihn zur Spekulation über Stevensons Entdeckung der tatsächlichen Schatzinsel mit dem legendären Kirchenschatz veranlasste.

Als der lungenkranke Robert Louis Stevenson (1850-1894) am 7.Dezember 1889 mit seiner buntgemischten folkloristisch anmutenden Entourage – der seekranken Frau Fanny und ihrem 21jährigen Sohn Lloyd Osbourne – mit dem Schoner „Equator“ im Hafen von Apia/Samoa landete, hatte er als Reisereporter für US-Magazine Tahiti, Hawaii und die Gilbert Inseln besucht. Der letzte Törn von den Gilbert-Inseln war besonders qualvoll und anstrengend gewesen, aber Samoa sollte eigentlich nur ein kurzer erholsamer Stopover für die seekranken, von Ungeziefer zerstochenen Passagiere sein. Doch RLS verbrachte dann die letzten Jahre bis zu seinem Tod 1894 trotz des beschwerlichen Klimas auf Samoa – warum? Weil das Postboot dort einmal monatlich anlegte und er seine Manuskripte für die Londoner Verleger auf diesem Wege zuverlässig abliefern konnte, wie er behauptete?

Über die mysteriösen Umstände seiner letzten Lebensjahre auf Samoa haben viele Stevenson-Experten gerätselt: Schließlich war er krank und hätte sich eigentlich in einem Schweizer Sanatorium erholen müssen. Außerdem waren die Streitereien mit seiner amerikanischen Frau Fanny und ihrem verwöhnten Söhnchen Lloyd, die er finanziell unterstützte, unerträglich.

Eine verblüffende Vermutung

Der sensible, mit einem grandiosen Faible für exotische Romantik ausgestattete Schweizer Alex Capus, 54, („Louis und Louise“) hat dazu eine spannende „Vermutung“ geliefert, die sich zwischen Biographie, Reportage und spekulativen Thesen bewegt. Er zitiert aus Briefen Stevensons, in denen der sich über die Zustände auf Samoa, den ewigen Familienstreit und seine gesundheitlichen Probleme beklagt. Capus war mehrmals auf Samoa, hat akribisch in Archiven geforscht und war immer wieder mit der Frage konfrontiert: Warum blieb der tuberkulöse Schotte trotz all dieser Probleme trotzdem solange dort? RLS unternahm zwar regelmäßig „Shopping Tours“ nach San Francisco oder Hawaii, er reiste auch nach Australien. Doch sein Lebensmittelpunkt blieb damals Samoa, wo der berühmte gastfreundliche Verfasser von „Inland Voyage“, der „Schatzinsel“ (1883), von „Kidnapped“, und „The strange case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ (1886) als eine Art Vizekönig von den Einheimischen respektiert und bewundert wurde. Capus hat eruiert, dass sich RLS oft in die Büsche schlug, ein Boot bestieg und dann tagelang unauffindbar war: Seiner Ansicht nach hatte RLS auf der südlich von Samoa gelegenen Nachbarinsel Tafahi die „echte“ Schatzinsel entdeckt, auf der er sich wertvollen Schmuck, Münzen usw. holte und dann bei seinen Auslandsreisen an Mittelsmänner verhökerte.

Das Unerhörte und Überraschende dieser These ist, dass Tafahi früher auch Cocos Island hieß und damit erklärt werden kann, weshalb die vielen Expeditionen von Schatzsuchern zu der vor Costa Rica liegenden Insel (Capus: „Die Mutter aller Schatzinseln“), wo der legendäre von Piraten wie William Dampier, Edward Davis oder Bennett Grahame („Bonito“) um 1680 geraubte Kirchenschatz vermutet wurde, erfolglos blieben. Auf dieser kleinen, von erbarmungslosem Regen heimgesuchten Insel (ca. 1000 km nördlich von Galapagos gelegen) hatten sich Tausende mit schwerem Gerät abgemüht, um tiefe Gruben zu graben und jede Ecke dieser exotischen Vorhölle zu durchwühlen – vergeblich. Zur Veranschaulichung dieses abenteuerlichen Ambientes blendet Capus einige Kapitel ein, in denen der fanatische deutsche Schatzsucher August Gissler (1857-1935) beschrieben wird, für den die Jagd auf den Kirchenschatz zum Lebensinhalt geworden war. Er missionierte in Deutschland regelrecht, um möglichst viele Siedler anzulocken, die sich dann als Aktionäre mit Anteilscheinen an seinem Schatzsucher-Unternehmen beteiligen sollten – viele warfen aber schnell entnervt das Handtuch, weil sie die mörderischen Lebensbedingungen – vor allem den permanenten Starkregen – nicht verkrafteten.

Auf der Clubreise Schätze im Wert von 30 Milliarden Dollar finden!?

Capus beschreibt auch den damaligen Hype um Schatzkarten, die für viele Dollars verkauft wurden; das Jagdfieber hatte Tausende erfasst, woran sich bis heute kaum etwas geändert hat: Michel Bagnaud, Präsident des Internationalen Schatzsucherklubs, wies in seinem spannenden Schatzsucher-Führer darauf hin, dass der Club alle zwei Jahre eine Expedition zur Kokosinsel durchführt. Er ködert potenzielle Abenteurer mit dem vielversprechenden Hinweis, der Lima-Schatz wäre mindestens 30 Milliarden Dollar wert und läge auch günstig und sei leicht erreichbar. Außerdem würden dort noch weitere Schätze auf ihre Entdeckung warten. Willkommen im Club der unverbesserlichen Märchenerzähler !

Zwischen dem „Piraten-Tresor“ von Cocos Island vor Costa Rica (nördlich der Galapagos Inseln) und Stevensons eigenem Geheimtresor Tafahi (zwischen Samoa und Tonga) liegen ca. 7000 Kilometer – kein Wunder, dass außer Alex Capus bisher niemand auf die Idee kam, die von Gissler und anderen (u.a. auch vom britischen Rennfahrer Malcolm Campbell) favorisierte trostlose Schatzinsel könnte eine totale Niete sein und mit einer weit entfernt liegenden Insel gleichen Namens jahrzehntelang verwechselt worden sein.

Und Stevenson selbst, der sich ja „in Sichtweite einer zweiten Cocos Insel“ niedergelassen hatte, wie Capus schreibt, der alle Nachbarinseln besuchte und sonst alle Details seiner Ausflüge genauestens in Reportagen und Romanen beschrieb, verliert nirgendwo ein Wort über diese Insel, die er auch nicht einmal als Tafahi erwähnt. „Auf geradezu Misstrauen erregende Art hat Louis die südliche Nachbarinsel Samoas unerwähnt gelassen“, wundert sich Capus und fühlt sich in seiner Vermutung über den heimlichen Schatzsucher bestätigt. „Wahrscheinlich gab es zum Zeitpunkt seines Todes nur zwei oder drei Personen von gleichwertiger Bildung und Intelligenz, die über die Südsee ebenso gut Bescheid wussten wie Robert Louis Stevenson“.

Bußgeldbescheid für den rasenden Reiter Stevenson

Es ist auch überwältigend und spannend, wie Capus seine akribischen Recherchen anreichert mit plastischen Beschreibungen von Stevensons Arbeitsalltag. Der reitende Reporter RLS raste auf Pferden zu seinen Interviewpartnern, nach den Gesprächen wieder zu seinem großen Haus in Vailima, um alles aufzuschreiben, beschwerte sich oft vehement über behördliche Schikanen und Bußgeldbescheide wegen „überhöhter Geschwindigkeit“ hoch zu Roß. Was wohl im Kontext der deutsch-englischen Reibereien zu sehen ist: Denn die „Deutsche Handels- und Plantagen Gesellschaft für Südsee Inseln zu Hamburg“ besaß damals das Monopol für alle möglichen Varianten von Wheeling and Dealing, Import-Export und Bankgeschäften auf Samoa. Auch die militärische Präsenz der deutschen Marine wurde von den Briten argwöhnisch und empört beobachtet. Die an ihre „Britain rules the waves“-Doktrin gewöhnten Engländer fanden dieses Phänomen eines möglichen deutschen Kolonial-Rivalen jedenfalls absolutely disgusting – was man auch vom englischen Biographen Frank McLynn ausführlich serviert bekommt, der sich seitenlang auslässt über den damaligen teutonischen hegemonialen Anspruch im pazifischen Raum.

Kurz und gut: Capus gelingt es, seine Vermutung über den erfolgreichen Schatzsucher Stevenson plausibel darzustellen. Weitere überzeugende Details will ich nicht verraten, weil der Leser dieses faszinierende Puzzle mit Hilfe der von Capus gelieferten Indizien selbst zusammensetzen sollte. Das Krimi-Element kommt nicht zu kurz, biographische Rückblicke erhellen einschneidende Phasen im aufregenden Leben von RLS. Der glänzende Stilist Capus kann auch die faszinierende Entstehungsgeschichte von „Treasure Island“ vor uns ausbreiten – inklusive der Beschreibungen von Stevensons Lesungen einzelner Kapitel im Familienkreis.

Wir haben es hier also mit einem extrem faszinierenden Mix aus Reisebeschreibung, Krimi, Abenteuer-Schmöker, Enthüllungs-Story und ethnologischer Studie zu tun – was will man mehr? Höchstens noch die schöne, übersichtliche Landkarte, die in der Hanser-Neuausgabe fehlt, aber in der ersten Ausgabe (2005 bei Knaus erschienen) enthalten war und gut veranschaulichen konnte, um welche weit verstreuten Inseln zwischen Polynesien und Südamerika es hier tatsächlich geht.

Peter Münder

Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne. Hanser 2015. 224 Seiten. 19,90 Euro.
Frank McLynn: Robert Louis Stevenson. A Biography. Hutchinson Publishing London 1993, 567 Pages.
Michel Bagnaud: Beruf: Schatzsucher. Alle ungehobenen Schätze der Welt. Ein Handbuch. Aus dem Französ. von G. Waeckerlin Induni. Schönbach Verlag Basel 1992. 253 Seiten.
Derek Wilson: The World Atlas of Treasure. Collins Publ. London 1981. 256 Pages.

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