Geschrieben am 15. Februar 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Benoit Bouthillette: L’Heure sans ombre

BouthilletteKanadisch-indianisch-kubanische Zusammenarbeit

von Bärbel Reinke

L’Heure sans ombre ist der Krimi, auf den ich seit fast 10 Jahren gewartet habe und der mich nicht enttäuscht hat.  Benoit Bouthillette hatte 2005 mit seinem ersten Roman La Trace de l’escargot (Schneckenspur) viel Aufsehen erregt. Sein Inspektor Benjamin Sioui ist Indianer, kokainsüchtig, wie verrückt in die Gerichtsärztin verliebt, Fan von Kurt Cobain und elektronischer Musik. La Trace de l’escargot ist einerseits ein recht klassischer Krimi um einen Serienmörder, der sich in Francis Bacons Werk inspiriert, aber mit einer sehr eigenen Erzählstruktur und so packend geschrieben, dass einem selbst das nicht ganz perfekte Ende die Lesefreude nicht nimmt. Dieser erste Roman war ganz klar als Serie angelegt. Danach hatte Benoit Bouthillette gesundheitliche Probleme, und aus dem zweiten Band ist vor 2015 nie etwas geworden.

In L’heure sans ombre findet man Benjamin Sioui einige Monate nach den Ereignissen in La Trace de l’escargot in Kuba wieder. Sioui, mittlerweile drogenfrei, und wie man erfährt Schamane gegen seinen Willen, nimmt an einer Zeremonie teil, in der Yemayá, eine afro-kubanische Göttin, ihn um Mithilfe bittet, das Verschwinden mehrerer Kinder aufzuklären. Sioui wird einen alten Freund in der kubanischen Polizei um Erlaubnis bitten zu ermitteln. Was ihm gewährt wird, mit viel Wohlwollen und mit Hilfe einer kubanischen Polizistin: Maeva Corrales. Eine internationale Zusammenarbeit, die durchaus wahrscheinlich erscheint, wenn man weiß, dass Castro ein guter Freund des Premiers P.E. Trudeau war und sogar zu seiner Beerdigung nach Kanada gekommen ist. Sehr schnell werden Sioui und die Sergente Maeva Corrales die zentralen Figuren dieser Ermittlung. Die Handlung lässt einen nicht mehr los: Kinder sterben oder verschwinden um sie rum, Benjamin und Maeve folgen den Spuren, um dem oder den Missetäter(n) das Handwerk zu legen. Unweigerlich lernt man ein Kuba kennen, das dem Durchschnittstouristen verwehrt bleibt: Stadtviertel und Gegenden der Insel, in denen es keinen Tourismus gibt, die moderne kubanische Kunst, ein Elektrofestival, Benjamins Kontakt mit den Göttern der Insel und der Santeria, dem kubanischen Voodoo und natürlich auch  mit seiner Bürokratie und Vertretern seiner Oligarchie.  Und natürlich Menschen, die Sioui mag. Oder nicht. Sehr integer und authentisch, folgt er immer seinem Gefühl. Dies alles in dem sehr typischen Stil Bouthillettes: lange innere Monologe Siouis, wenige Dialoge, viel Handlung, die mit gesellschaftskritischen, linguisitischen oder philosophischen Überlegungen Siouis (und Bouthillettes) unterlegt ist, ohne dadurch schwerfällig zu werden.

L’Heure sans ombre ist auch ein Liebesroman. Benjamin Sioui ist ein Mann starker Gefühle und das seit dem ersten Roman und in allen seinen weiteren Erscheinungen, sowohl in Kurzgeschichten als auch in einem Kinderbuch.

Normalerweise wäre mir dieser zweite Handlungsstrang sehr auf die Nerven gegangen, aber erstaunlicherweise ist das sehr gelungen und nicht um eine Spannung aufzubauen (der Held muss die Heldin retten), sondern führt eher zu mehr Tiefgang. Ein spannendes Buch, das von indianischen und afrikanischen Mythen erzählt, vom Verschmelzen der Kulturen, von den Gefahren, die vom religiösen und kulturellen Integrismus ausgehen und von den ewig Gestrigen. Aber das fällt einem erst auf, wenn man später drüber nachdenkt.

Bärbel Reinke

Benoit Bouthillette: L’Heure sans ombre. Broschur. Druide, 2015.

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