Geschrieben am 15. Oktober 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Frank Schulz: Onno Viets und der weiße Hirsch

9783869711270Das letzte Halali

Ein neuer Onno-Viets-Roman lässt das ansonsten nicht genre-affine Feuilleton ausflippen und sich zu ziemlich sinnfreien Superlativen versteigen. Es geht auch ein paar Nummern kleiner, wie Frank Schornecks Besprechung von „Onno Viets und der weiße Hirsch“ zeigt:

Als Frank Schulz die Figur des Allround-Versagers und Stehaufmännchens Onno Viets erschuf und ihn 2012 im Roman „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ als frischgebackenen Privatdetektiv gleich ein alptraumhaftes und blutiges Fiasko erleben ließ, lotete der Hamburger Autor bereits die Grenzbereiche von „Krimi“ aus. Sein hochkomisches und literarisches Gespür, insbesondere für Dia- und Soziolekte, aber auch für nonverbale Eigenheiten seiner Charaktere knüpfte nahtlos an seine kultstatusbehaftete „Hagener Trilogie“ an – Krimipuristen bemängelten bisweilen, dass der phlegmatische Protagonist eher durch seinen „Fall“ hindurchstolperte als wirklich die Funktion eines Detektivs einzunehmen. Die Einordnung des Romans als „Krimi“ war dennoch gerechtfertigt.

2015 stach Onno Viets mit dem „Schiff der baumelnden Seelen“ in See, und diese Kreuzfahrtparodie lässt bereits das Genre hinter sich und verbirgt stattdessen unter einer satirischen Oberfläche eine tieftraurige Geschichte von Freundschaft, Liebe, Betrug und Scheitern. Onnos Seereise knüpft dabei nicht an das Trauma der Geiselnahme durch den Irren vom Kiez an, vielmehr erfahren wir, dass Onno zwischenzeitig versucht hat, seine posttraumatische Belastungsstörung bei seinen Schwiegereltern auf dem Land zu kurieren. Dort muss etwas ziemlich schiefgelaufen sein.

Es brodelt

„Onno Viets und der weiße Hirsch“ erzählt nun, was Onno zwischen diesen beiden Büchern zugestoßen ist, ist also rein zeitlich der Mittelteil der Trilogie. Man sollte jedoch nicht der Versuchung erliegen, die Romane nun chronologisch lesen zu wollen, denn die Kenntnis um Onnos Kreuzfahrterlebnisse ist erforderlich, um die Tragweite so manchen Details in diesem Roman zu erfassen. Onno, der unerschütterliche Nichtschwitzer, schreckt nachts schweißgebadet aus Alpträumen, in denen der nackte, ganzkörpertätowierte Tibor Tetropov, der in einer Hamburger Klinik im Koma liegt, plötzlich vor seiner Tür steht um Rache zu nehmen. Selbst an der Tischtennisplatte ist der Noppensockenträger nur noch ein Häufchen Elend, und so beschließen seine Freunde und die treusorgende Ehefrau Edda, Onno aus dem Hamburger Verkehr zu ziehen und überreden ihn zu einer Auszeit auf dem Land. Im Dörfchen Finkloch quartiert er sich bei den Schwiegereltern ein und Schwiegervater Henry Baensch, Amtsförster a.D., nimmt ihn mit in den Wald und auf den Hochsitz.

Doch unter der dörflichen Idylle brodelt etwas, das ausgerechnet jetzt ausbrechen soll. Denn der Wald wird nicht nur von den Jägern vereinnahmt, sondern auch von der „Katzenzenzi“, einer esoterischen Exil-Bayerin, die sich ihre Berühmtheit aus dem Astro-TV zu Nutzen macht, um zahlungskräftige Anhängerinnen zu nächtlichen Mondritualen in den Wald einzuladen. Der Streit zwischen diesen Fronten wird zunächst über die Aushangtafel am Dorfplatz ausgetragen, doch dann wird eine gekreuzigte Katze aufgefunden. Kurz sitzt einer der Jäger tot, mit einem Tannenzweig im Gebiss, auf dem Hochsitz.

Onnos Angst

Trotz seiner PTBS kämpft Onno gegen seine tief sitzende Angst an und geht mit der ihm eigenen Beharrlichkeit und Ausdauer den Dingen auf den Grund. Was er dabei herausfindet, reicht weit in die Familiengeschichte der Baenschs zurück: Von den Weltkriegswirren und der Vertreibung über die deutsche Teilung und den Deutschen Herbst bis hinein in die Gegenwart. Ausgerechnet dem Großmeister des humorigen Dialogs gelingt es, die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen atmosphärisch dicht aufs Papier zu bringen. Eigenbrötler und Einzelgänger, die ihre Sorgen auch den geliebten Mitmenschen nicht anvertrauen und Traumata verdrängen statt zu verarbeiten, stehen im Mittelpunkt dieses Romans.

Die dialogische Raffinesse des Autors tritt ein wenig in den Hintergrund, auch der Humor ist hintergründiger, teils doppelbödig. Kalauer, vor denen Schulz sonst durchaus nicht zurückschreckt, umschifft er diesmal weitestgehend und verleiht dem Roman über weite Strecken einen melancholischen Grundton. Darüber täuschen auch herrlich komische Passagen wie die fein ziselierte seitenlange Beschreibung einer typischen Jagdhütte samt aller dekorativen Elemente oder wie die Schilderung der grotesken nächtlichen Mondbeschwörung nicht hinweg. Onnos Geschichte scheint auserzählt, man nimmt nur ungern und mit Wehmut Abschied von diesem eher ungewöhnlichen Privatdetektiv mit seinem Charisma für Arme.

Frank Schorneck

Frank Schulz: Onno Viets und der weiße Hirsch. Roman, Berlin: Galiani 2016, 368 Seiten, 19,99 Euro; Zu Buch & Verlag

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