Geschrieben am 15. Januar 2017 von für Bücher, Crimemag

Roman: Les Edgerton: Der Vergewaltiger

512dgvlwj6l-_sx311_bo1204203200_Monolog mit Gott

Von Katja Bohnet

So nah, dass du ihn riechen kannst

Verlage schicken mir ungefragt Rezensionsexemplare. Wenn es sich allerdings um einen Roman mit dem Titel „Der Vergewaltiger“ handelt, werde ich nachdenklich. Ein Wink mit dem Zaunpfahl? Oder hält mich jemand für kompetent auf diesem Gebiet? Hat sich — Ockhams Rasiermesser — jemand vielleicht einfach mit der EmpfängerIn vertan? Bevor mich mögliche Antworten blockieren, gehe ich vom Besten aus: Dies ist ein gutes Buch, das man mir anvertraut. Sollten Sie sich allerdings (aus rechtlich nachvollziehbaren Gründen) für Vergewaltigungen oder Vergewaltiger interessieren, das sei vorab gesagt, werden Sie hier nicht unbedingt auf Ihre Kosten kommen. Eine Vergewaltigung findet zwar statt, und sie hat es in sich. Ein starkes Stück Literatur. In diesem Punkt. Aber um eine Vergewaltigung geht es nicht zentral in diesem Roman, sondern eher um eine Art buddhistische (später dann auch christliche) Sinnsuche. Geburt und Wiedergeburt. So oder so werden Sie Gott treffen, auch wenn ich mir persönlich mehr davon erhoffte.

Ein Vergewaltiger lässt uns also an seiner Gedankenwelt teilhaben, ein studierter Klugscheißer, der allen überlegen ist. Gelangweilte, wortgewaltige Figuren finden sich immer wieder im Literaturbetrieb. „Boring! – Langweilt mich!“, möchte man im Andenken an die „Rocky Horror Picture Show“ ausrufen. Aber Sie müssen, sollen diesen Ich-Erzähler nicht mögen; er verlangt es nicht. Ich-Erzähler. Vorteil: Sie lassen dich ganz nah an sich ran, so nah, dass du sie riechen kannst. Nachteil: Truman Ferris Pinters‘ Kosmos’ wird so transparent, dass jede Wendung des Romans bis zum Ende voraussehbar ist, manchmal vorab vergrößert, wie durch ein Lupenglas. Extrem spannend ist das nicht.

Wenn Männer lamentieren

Was davor geschah: Truman Ferris Pinter vergewaltigte eine Frau. Sie stürzte danach ungeschickt, er half ihr nicht, er angelte. Jetzt ist sie tot. Er akzeptiert das Urteil der Gesellschaft (Mord), aber die Gründe dafür nicht. Als Leserin, als Frau, kann man es durchaus ermüdend finden, Männern, männlichen Figuren, bei ihrem Lamento über die Welt (ungerecht), Frauen (zu laut) und das Dasein (zu durchschaubar) zuzuhören. Auch in diesem Roman bestraft ein Mann eine Frau. Große Müdigkeit legt sich über mich. Immerhin: Der Mann kommt nicht gut weg. Eingedenk des Wissens, wie viele Vergewaltiger aus Mangel an Beweisen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, sitzt dieser hier im zaunKnast. Im Todestrakt. Und wir erleben seine letzten Stunden mit ihm, neben ihm, kurz vor der Exekution. Genau in dieser Welt des Gefängnisses glänzt der Roman angesichts der fiesen, täglichen Foltermethoden, die auch die angeblich Zivilisierten sich leisten. Nicht nur in Guantanamo. Gefängnisromane stehen in einer langen, literarischen Tradition. Den Gefangenen, oft Unterdrückten, wird hier eine notwendige Stimme verliehen. Pinter, Häftling 49028, hat es nicht leicht: Bohnen gestreckt mit Steinen, Quacksalber als Gefängnisärzte, Willkür, Übergriffe, Nahrungsentzug, Verlust der Privatsphäre. Natürlich hat der Mann trotzdem immer das letzte Wort. Überlegen in jeder Lebenslage. Selbst der sadistische Gefängnisdirektor kann ihm nichts anhaben. Kommentar eines Wärters, der sich auf Direktor und Häftling zugleich bezieht: „Ein Arschloch kommt selten allein.“

Schreie der Literaten

Um sich selbst kreisend ebenfalls die immerwährende Betonung von Pinters akademischen Bildung, Princeton Absolvent. Endloses Namedropping (Jung, Freud, Achill, Balzac, Dostojewski, ff.), dass einem die Ohren klingeln. Autor und Leser können sich nun fragen, ob sie einem angeblich „gebildeten Verbrecher“ eher Stimme und Glauben schenken als zum Beispiel einem „unbekümmerten Psychopathen“ wie in „Miami Blues“ von Charles Willeford. Halten wir nochmals fest: Opfer, junge, promiskuitive Frau. Täter und Hauptfigur, älterer egozentrischer Akademiker mit einem Hang zur Raserei. Nebenfiguren: ein paar männliche Schließer und ein männlicher Gefängnisdirektor. Kaum zu überbietendes traditionelles Krimi-Muster, zumindest beim Personal. Womit dieser Roman jedoch massiv punkten kann: die lässig ungeschminkte Sprache Edgertons und die Form, in der Autor seine Geschichte gießt. Er trägt uns durch Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Das besticht durch Eleganz. Genauso wie die Tatsache, dass der Protagonist auch fliegen kann. Im Wortlaut. Nicht träumen, sondern fliegen. Herrlich, die Schreie der Literaten: „Bewahre! Levitation, ein fantastisches Element. Eskapisten, Wolkenkuckucksheimbauer!“, rufen sie, „allesamt!“ Während die Freunde der fantastischen Literatur empört zurückbrüllen: „Ihr Bedeutungsschinder, Schwafeler!“ Auch die Liebhaber des Krimis bekommen ihr Fett weg: „Billige Effekthascher! Genresklaven!“ Irgendwann schreit jeder den anderen an. Was wären wir nur ohne diese literarischen Grabenkriege und Schubladen? Womöglich weltoffen, interessiert und fair? Lassen Sie sich also auf das Fliegen ein, denn so ein Flug kann großartig sein. Zumindest vor dem Fall, wie Ikarus und Pinter wissen.

edgerton-2wsh0l-_sy346_edgerton-the-rapist-cover-from-pulpmaster-by-the-artist-4000Mansplaining

Ich liebe die PulpMaster Reihe. Hier wird noch etwas gewagt. Die Cover sind laut, schrill und expressiv. „Der Vergewaltiger“ ist ein starker Roman, dessen Hauptfigur aber mit seiner selbstverliebten Art des Mansplainings Distanz zu seiner eigenen Geschichte aufbaut, die selbst die zwangsweise Nähe der Ich-Erzählung nicht durchbricht. Mich lässt das Schicksal des zum Tode Verurteilten überwiegend kalt. Es mangelt mir an Empathie.

Über den Wert von Nachworten lässt sich trefflich streiten. Wenn Meursault in der „Der Fremde“ von Camus mit derselben gleichgültigen Arroganz wie Pinter aufgetreten wäre, hätten sich die Existenzialisten einen anderen Helden gesucht. Behaupte ich. Obwohl Edgertons Protagonist ernsthaft mich sich ringt und sich beim Grand Finale sogar noch in biblische Höhen versteigt. Ob der letzte, hiob’sche Satz des Romans das Sahnehäubchen auf der philosophisch-religiösen Eklektizismustorte oder die Epiphanie der Zweifler ist, entscheiden Sie.

Lassen wir also zum Schluss Truman Ferris Pinter selbst zu Wort kommen. Er redet so gern:

„Hier mal das, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist. Ich bitte um Beachtung, da ich es für wichtig halte. Europäer und Amerikaner unterscheiden insofern, als dass Amerikaner in Dialogen denken; Europäer, insbesondere Gallier, sind als Einzige zu gradlinigem Denken befähigt (die Deutschen zählen nicht — sie denken wie Maschinen in Monologen).“

Daran gemessen lebt der „Der Vergewaltiger“ über weite Strecken von einer deutschen Qualität.

Les Edgerton: Der Vergewaltiger (The Rapist, 2013). Aus dem Amerikanischen von Ango Laina und Angelika Müller. Nachwort von Ekkehard Knörer. PULP 40. Pulp Master, Berlin 2016. Verlagsinformationen. Direkt bestellen ohne Versandkosten.

Siehe auch die (englischsprachige) Besprechung von Guillermo O’Joyce im Dezember-CrimeMag, die von einem Chor von 24 Autorenstimmen begleitet war.

Tags : , , , , ,