Run, Kodjo, run …
Eine Hetzjagd durch Berlin präsentiert Max Annas` neuer Roman, „Illegal“. Der, der flüchten muss, ist allerdings kein Dr. Kimble, sondern ein illegal in Deutschland lebender Afrikaner. Das macht nicht nur in der Fiktion einen Unterschied, sondern auch in der Realität. Der nächste große Wurf von Max Annas, findet Thomas Wörtche.
In seinem dritten Roman, „Illegal“, variiert der zweimalige Krimi-Preisträger Max Annas sein großes Thema von „drinnen“ und „draußen“ auf dem Schauplatz Berlin, wo der Autor nach langen Jahren in Südafrika (dort spielen seine Romane „Die Farm“ und „Die Mauer“) inzwischen lebt.
Illegal in der Hauptstadt schlägt sich der junge Ghanaer Kodjo mit Gelegenheitsjobs innerhalb eines sympathisierenden Netzwerks durchs Leben. Eine prekäre Existenz, denn illegal leben heißt, sich so unsichtbar machen wie möglich. Ja keinen Kontakt mit der Polizei und anderen Ordnungsmächten haben. Kodjo hängt von der Gunst einzelner Menschen ab, auch von deren sexuellen Begehrlichkeiten. Das geht solange einigermaßen gut, bis ein Kumpel von Kodjo die Nerven verliert und ohne Not vor einer Polizeistreife davonrennt.
Kodjo muss mitfliehen und damit beginnt eine Katastrophe. Er muss untertauchen, versteckt sich in einem Abbruchhaus und wird, ganz wie im berühmten Hitchcock-Film „Das Fenster zum Hof“, (Crime Fiction ist für den Film- und Musikspezialisten Max Annas immer und grundsätzlich eine multi/transmediale Angelegenheit) Zeuge eines Mordes an einer Prostituierten. Kodjo will helfen und läuft dem Mörder über den Weg. Der nun gehört zu einem Security-Unternehmen, dessen Methoden alle andere als legal sind. Deren Leute werden auf Kodjo angesetzt, zwar überlegt er sich Optionen, selbst den Mörder zu jagen und zu stellen, aber dafür reicht sein Handlungsspielraum nicht aus. Zur Polizei kann er nicht gehen, denn die sucht ihn inzwischen öffentlich als Frauenmörder.
Konsequenterweise verzichtet Annas an dieser Stelle auf die genre-übliche benevolente Polizeifigur, die in einschlägigen Narrativen sonst immer für den Zweifel an der offiziellen Lesart der Geschehnisse steht. Die offizielle Lesart definiert hier die Realität. Das macht das Buch so gruslig unbehaglich. Anyway, Kodjos Verfolger kommen immer näher, es geht nicht mehr um irgendwo verhandelbare Schuld oder Unschuld, es geht um Leben und Tod. Kodjo muss um seine Leben fliehen. Gleichzeitig macht sich ein Busfahrer der BVG ganz normal auf seine Route und die ausgefuchste Spannungsdramaturgie von Max Annas sagt uns natürlich, dass die beiden aufeinander treffen werden. Wo und wie, das ahnen wir natürlich nicht, aber für den Drive und den Suspense des Romans ist diese zusätzliche Ebene sehr clever eingebaut.
In Hochgeschwindigkeit – eines seiner Markenzeichen – jagt Annas uns mit Kodjo durch ein präzise beschriebenes und jederzeit erkennbares Berlin, das aber durch die Perspektiven dessen, der nicht wirklich Teil dieser Gesellschaft ist, zu einem fremden, bedrohlichen Labyrinth wird. Berlin wird, so gesehen, zum Südafrika der „Farm“ und der „Mauer“. Ein limitierter Raum, in dem man in Bewegung bleiben muss, um überhaupt eine Chance zu haben. Eine globalisierte Situation? Ein post-1989, dessen Freiheiten letztendlich nicht für alle da sind?
Racial Profiling
Die Hautfarbe von Kodjo stellt ihn unter Generalverdacht, „racial profiling“, ist nicht nur eine obrigkeitliche Technik, sondern gesellschaftliche Praxis. Es bestimmt jeden Augenblick von Kodjos Realität, es markiert unerbittlich und unüberschreitbar die Grenzlinie zwischen „drinnen“ und „draußen“. Kodjo ist, klassisch nach Hans Mayer, ein konstitutiver Außenseiter. Auch das riesige Berlin mit seinen subkulturellen Strukturen und einer Menge habitueller Außenseiter (cf. Hans Mayer) ändert daran letztlich nichts, Ausgrenzung ist unhintergehbar. Ein bürokratisches Oktroy (die „Illegalität“) und der alltägliche Rassismus verklammern sich auf Bitterste.
Comme il faut
Annas setzt alle diese Konfliktlagen in Action um – und genau das ist immer schon die Stärke von gelungener Kriminalliteratur: Für gesellschaftliche Phänomene keine Thesen zu formulieren, sondern sie in Handlung und Dynamik umzusetzen. Das gelingt „Illegal“ ganz großartig.
Thomas Wörtche
Max Annas: Illegal. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2017. 236 Seiten, € 19,95
Offenlegung: Thomas Wörtche hat Max Annas ersten Roman, „Die Farm“ bei Penser Pulp veröffentlicht. Mit „Die Mauer“ und „Illegal“ bei Rowohlt hatte er institutionell nichts zu tun. Für CultMag schreibt Max Annas regelmäßig seit 2010. „Film, Verbrechen und andere Mittel“ nennt er seine Filmkolumne „On Dangerous Ground“, in der er jeweils einen bestimmten Film näher unter die Lupe nimmt. Zuletzt war es Helmut Käutners „In jenen Tagen„, davor:
Nr. 13: „Nachts auf den Straßen“ von Rudolf Jugert
Nr. 12: „Man without a Star“ von King Vidor (Kirk Douglas zum 100.)
Nr. 11: Day of the Outlaw, von André De Toth
Nr. 10: „Frozen River“ von Courtney Hunt.
Nr. 9: Claire Denis – „J´ai pas sommeil“ (Ich kann nicht schlafen). Hier bei CrimeMag.
Nr. 8: Ida Lupino – „Outrage“
Nr. 7: Fritz Lang – „Fury“
Nr. 6: Claude Chabrol – „Nada“ und die Bücher von Jean-Patrick Manchette im Kino
Nr. 5: David Miller – „Executive Action
Nr. 4: Anthony Mann – „Devil´s Doorway“
Nr. 3: „Acı“ von Yilmaz Güney
Nr. 2: „Deprisa, deprisa“ von Carlos Saura
Nr. 1.: Pietro Germi – „La città si difende“