Die Hure Intelligenz
Von Katja Bohnet
Orchideen und Boef Bourguignon
Da begegnest du deinem früheren Boyfriend nach dreißig Jahren. Hey, du bist ein bisschen aufgeregt. Sieht er noch so aus wie früher? Fuck, no! Sicher nicht. Aber hat er sich gut gehalten? Was macht er heute, und wie macht er es? Ihr habt euch damals geistreich unterhalten, kein Zusammentreffen ausgelassen. Zwischen euch entwickelte sich nie etwas Ernstes, aber Erotik schwang immer mit.
Von der ersten Seite an besitzt „Es klingelt an der Tür“ noch diesen alten Charme. Archie Goodwin, Ich-Erzähler und Hauptfigur, bezirzt Sekretärinnen und LeserInnen dermaßen, dass Trennlinien zwischen beiden unscharf wirken. Groß, witzig und gutaussehend lässt der Ermittler und Laufbursche eines Misanthropen auch in der eleganten, leinengebundenen Neuauflage des Klassikers von Rex Stout nichts anbrennen. Das Büchlein selbst ist ein Handschmeichler. Man möchte mit ihm schlafen gehen. Meisterdetektiv Nero Wolfe hat derweil jede Diät ausgeschlagen. Kein Fat-Fighter konnte dem brillanten Exzentriker etwas anhaben. Er interessiert sich nach wie vor nur für seine Orchideenzucht, Bücher und das nächste Boef Bourguignon. Aber um beim Lesen und Dinieren noch mehr Speck ansetzen zu können, muss er Geld verdienen, möglichst viel. Gut, dass die Hure Intelligenz auch käuflich ist. Den Zuschlag bekommt die reiche Rachel Brunner, die sich verfolgt fühlt. Nicht von ihrem Ex-Mann oder einem Kettensägenmassenmörder, nein, sondern vom FBI.
Beauty and the Beast
Vorgeschichte: Das Buch „The FBI Nobody Knows“ fällt Rachel Brunner in die Hand. Sie liest es und ist schockiert. Die geschilderten Machenschaften veranlassen die reiche Witwe dazu, das Buch en masse an prominente Persönlichkeiten zu verschicken. Die Informationspflicht, über eine subversive Kraft im Land aufzuklären, treibt sie an. Das FBI lässt nicht lange auf sich warten und hängt sich an Brunner. Nero Wolfe soll diese Überwachung stoppen. Dafür wird er im Erfolgsfall hunderttausend Dollar erhalten. Doch wer ermittelt schon gern gegen das FBI? Aber keine Aufgabe ist unmöglich und ein Sparring mit dem FBI: warum nicht? Wolfe zögert, doch sein renitentes Wesen sowie die Aussicht auf einen über Monate gefüllten Kühlschrank lassen ihn zusagen. Vermerke: Bis zu dieser Seite im Roman ist noch kein Mord geschehen. Goodwin und Wolfe, Beauty and the Beast, Beinahe-Vater-Sohn-Geflecht, Hass-Liebe-Opfer, unschlagbares Team parlieren sich bei den verschiedenen Mahlzeiten von Gang zu Gang. Wir folgen Wolfe von Deduktion zu Deduktion, zumindest wenn er sich herablässt, außer „Pfui!“ überhaupt etwas zu sagen.
„Es klingelte an der Tür“ erschien erstmals 1965 in den USA, die McCarthy Ära lag noch in Reichweite, als Stouts Plot Zündstoff lieferte. (Inwiefern können wir der Ordnungsmacht im Staat noch trauen? Stark und zeitlos. So müssen Themen sein.) Dass Bücher, hier auch der Roman im Roman, dies noch vermögen, macht Hoffnung in einer Zeit, in der viele LeserInnen gepflegtes Metzeln in der Literatur im Kontrast zu einem gemütlichen Abend am Kamin als Höhepunkt ihres politischen Engagements betrachten.
Gefährliches Anstarren
Aber auch in „Es klingelte an der Tür“ geht es nicht widerspruchsfrei zu. Wie subversiv ist ein schwerreicher Detektiv, der sein Haus nur in Notfällen verlässt? Der seine Untergebenen an die Front schickt, wenn es etwas zu hören, erforschen oder zu verteidigen gibt. Irgendwann wird ein Mordfall aufgedeckt, der geschah, bevor Wolfe und Goodwin den Brunner Fall überhaupt annahmen. Das liest sich wie etwas Altes, Staubiges aus einer Truhe. Wie realistisch und nah am Puls der Zeit ist ein Roman, in dem sich die Privatschnüffler ständig über die nächste Menüfolge verständigen? Diese Besessenheit mit Kochrezepten in Kriminalromanen mögen andere, zum Beispiel zuverlässige Psychiater deuten. Eher ungefährlich, wie Chefs von FBI und Mordkommission sich im Wechsel mit Wolfe gefährlich anstarren. Den Agatha-Christie-Muff wird auch ein brisantes Thema in diesem Umfeld nicht los.
Wolfe und Goodwin hatten schon andere Nagelproben zu bestehen. Aufregendere, körperbetontere, drastischere. Überwachung ist leider ein sehr geheimnisvolles Geschäft. Vor lauter Leisetreten, Verstecken und Flüstern bei laufendem Radio könnte der Roman etwas mehr unhöfliche Action vertragen. Einen ordentlichen Schusswechsel, wenigstens eine Schlägerei. Etwas Schmutziges, Lautes, Überraschendes. Keinen maßgeschneiderten Anzug, kein Telegramm, keine abgezählten Verdächtigen im Orient-Express. Nichts und niemand wird hier verletzt, weder der öffentliche Anstand, noch Archie Goodwins Gefühle.
Das zweite Date
Nicht jeden Film sollte man zweimal sehen und nicht jedes Buch mehrmals lesen. Mit manchen Stoffen gibt es nur ein erregendes, erstes Mal, und nicht jeder Boyfriend ist nach Jahren noch so sexy wie beim ersten Date. Vielleicht spielten die Hormone verrückt. Vielleicht darf man aber auch später von den Verflossenen nicht zu viel erwarten. Vielleicht werden wir alt. Und dieser Roman, der immer noch verdammt gut aussieht, ist nicht mit uns alt geworden.
Rex Stout. Es klingelte an der Tür (The Doorbell Rang, amerikanische Originalausgabe 1965 bei Viking Press, New York). Roman, übersetzt von Conny Lösch. Mit einem Vorwort von Jürgen Kaube. Klett-Cotta, Stuttgart 2017. 247 Seiten, 15,00 Euro. Verlagsinformationen.