Der ganz normale Kleinstadt-Wahnsinn
– Richard Russo ist derzeit einer der unterhaltsamsten Erzähler der USA und schreibt mit viel Witz und Wärme über Menschen, die alles andere als Helden sind und das Leben mehr schlecht als recht meistern, über die Menschen von nebenan mit ihren kleinen Träumen und Hoffnungen, mit ihren kleinen Freuden, Fehlern und Fehltritten. Von Karsten Herrmann
Wie schon in seinen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman „Diese gottverdammten Träume“ siedelt Russo auch „Ein Mann der Tat“ in einer schäbigen Kleinstadt an: „Unterm Strich also war Bath […] ein einziges wirtschaftliches und kulturelles Desaster“. In diesem Nest versucht Chief Raymer, der Leiter der Polizeidirektion, Ordnung zu halten und muss dabei feststellen, dass sein eigenes Leben gerade vollkommen aus dem Ruder zu laufen droht. Vor einem Jahr stürzte seine Frau, wie eine „Slinky“-Spirale die Treppen hinunter und starb – just an dem Tag, an dem sie ihn wegen eines anderen verlassen wollte. Seitdem ist er von Trauer gelähmt, steckt voller Selbstzweifel und Unsicherheit, und versucht gleichzeitig manisch herauszufinden, mit wem seine Frau ihn betrogen hat.
Um seinen Anti-Helden Raymer gruppiert Richard Russo ein ganzen Reigen weiterer Protagonisten – das sind beispielsweise der Macher und zu Geld gekommene Sally und sein treu-trotteliger Kumpel Rub, der als Totengräber arbeitet und der „niemals gut aufgehoben sein [würde]. Nie im Leben.“ Da sind der großmäulige Bauunternehmer Carl, dem gerade ein Großprojekt zu platzen droht und der nach einer Operation von Inkontinenz und Impotenz geplagt wird oder da ist der Schläger und Kleinkriminelle Roy, der nach seiner Gefängnisentlassung auf Rache sinnt. Und nicht zuletzt spielt die pfiffige und schlagfertige Polizistin Clarice, die versucht, ihren Chef Raymer wieder in die Spur zu bringen, eine bedeutende Rolle im Beziehungsgeflecht der Kleinstadt Bath.
Erzählt wird die Geschichte von Russo im Verlaufe eines einzigen Tages, nämlich dem erstaunlich heißen „Memorial Day“. An diesem denkwürdigen Tag kommt es zu Unfällen, verheerenden Gewittern und Blitzeinschlägen, Erdverschiebungen, Explosionen, Gewalttaten und Giftschlangenalarmen. Und mitten drin der zunehmend ramponierte Chief Raymer, für den am Ende ganz unerwartet doch noch Hoffnung aufglimmt: „Ja, es war an der Zeit, sein Leben wieder in Angriff zu nehmen.“
In grotesk überzeichneter Form erzählt Richard Russo vom ganz normalen Wahnsinn in einer amerikanischen Kleinstadt. Mit großer Empathie begleitet er seine von Macken und Marotten gezeichneten Helden und legt zahlreiche Handlungsfäden aus. Zwischenzeitlich droht der Roman an Russos überschäumenden Erzählfluss und immer neuen Detail-Entwicklungen zu erlahmen. Am Ende nimmt er dann aber noch einmal richtig Fahrt auf und Fäden entwirren sich – ein furioses Finale mit Herz und Aha-Effekt.
Karsten Herrmann
Richard Russo: Ein Mann der Tat. Aus dem Englischen von Monika Köpfer. Dumont 2017. 688 Seiten. 26,00 Euro.