Geschrieben am 1. Juni 2016 von für Bücher, Litmag

Roman: Ronja von Rönne: Wir kommen

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Röntgenbild einer Generation

von Karsten Herrmann

„Maja ist nicht tot. Wenn Maja gestorben wäre, hätte sie mir davor Bescheid gesagt. Solche Dinge haben wir immer abgesprochen.“ – mit diesem funkelnden, ebenso grotesken wie flapsigen und berührenden Absatz beginnt Ronja Rönne ihren Debütroman „Wir kommen“ und zeichnet in den überzeugenden Sätzen und Seiten danach das Porträt einer Milleniumsgeneration zwischen Überfluss, Egomanie und Orientierungslosigkeit.

Maja war der Fix- und Angelpunkt in der Kindheit der Ich-Erzählerin Nora, und sie war ein „rotes Tuch in einem Dorf, in dem das Sterben ebenso zu einem höflichen Miteinander wie ein akkurat gestutzter Rasen gehört“. Alles an Maja war mitreißend und unbedingt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem es im Dorf einen mysteriösen Todesfall gibt und die Freundschaft der beiden langsam vergiftet.

Heute schlägt sich Nora, die ihren Lebensunterhalt als Moderatorin der Show „Die Super-Shopper“ verdient, mit Panikattacken herum und fängt auf Anraten ihrer Therapeutin an, ihr Leben aufzuschreiben. Sie lebt in einer Viererbeziehung mit Jonas, Karl und Leonie, und es ist das Leben in einem „Als ob“: „Unsere Beziehung ist eine einzige Imitation irgendwelcher Filme, und wenn wir uns streiten, dann noir.“ Was zunächst noch als cooles und  avanciertes Lebensmodell verklärt werden kann, fängt langsam an zu bröckeln und offenbart „vier Egoisten, die sich vor lauter Angst aneinanderklammerten, obwohl wir uns eigentlich hassten“.

Mit zuweilen bitterbösem Witz, Sarkasmus und Selbstironie nimmt die 1992 geborene „Welt“-Redakteurin Ronja von Rönne, die letztes Jahr mit einem Anti-Feminismus-Artikel für Aufsehen gesorgt hat, das Leben ihrer Generation und ihrer privilegierten Peergroup der Schriftsteller, Künstler, Grafiker und Schauspieler ins Visier. In einer Welt, in der alles möglich ist und das Unglück in der Verfügbarkeit von Alternativen zu liegen scheint,  zeichnen sich die Protagonisten durch ihre „neurotische Hyperreflexion, das ständige Hinterfragen der eigenen Rolle, die manische Beschäftigung mit uns selbst“ aus. Hinter dem unkonventionellen Hipster-Gehabe, den ausgefeilten Life-Style-Ritualen und Metawitzen lässt Ronja von Rönne ein Leben voller Existenzängste, Überdruss und Orientierungslosigkeit zum Vorschein kommen.

Ronja von Rönne hat mit „Wir kommen“ einen nicht nur flott erzählten, sondern auch beeindruckend intelligenten und originellen Debütroman vorgelegt. Hier wird das Leben ihrer Jahrtausendwendegeneration nicht verklärt und gehypt, sondern auf provozierende Weise enttarnt und schließlich in die ewige Wiederkehr des Gleichen eingereiht. Und so keimt ihrer Ich-Erzählerin auch bald das Bewusstsein davon auf, „wie normal, wie redundant, wie klein das alles war und vorhersehbar“.

Ronja von Rönne: Wir kommen. Aufbau, 2016. 208 Seiten. 18,95 Euro.

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