Geschrieben am 5. Juli 2017 von für Bücher, Litmag, News

Roman: Silke Andrea Schuemmer: Nixen fischen

schuemer_NixenfischenSaugnäpfige Prosa

– Wie ein unheilvolles Wesen aus „Fluch der Karibik“  haust Antiquitätenhändler Knut Seckig in seinem Laden, der bis unter die Decke mit maritimem Krimskrams vollgestopft ist.  Kompasse, Sextanten und Seekarten, Korallen, Muscheln, Schnecken und Seesterne, Galeonsfiguren und Gemälde unklarer Provenienz sind seine Welt. Ein unscheinbares Polaroid im Schaufenster lockt die Studentin Ines in seinen Laden. Hat dieses Foto von zwei Mädchen in einem Kanu etwas mit ihrer eigenen Geschichte zu tun? Ines will dieses Foto haben, doch es ist nicht käuflich, sondern Seckig nutzt es als Köder, um die attraktive junge Frau für ein paar Tage in seine Dienste zu zwingen. Eine Messe steht bevor – und Knut Seckig hegt einen ausgeklügelten Plan, um unliebsame Konkurrenz auszustechen.

Silke Andrea Schuemmer ist mit der Figur des Knut Seckig ein ungemein schmieriger Bösewicht gelungen, der dennoch eine unangenehme Faszination ausübt. Wer sich noch an die Szene mit dem Pferdekopf und den Aalen aus Grass‘ „Blechtrommel“ erinnert, mag sich vorstellen, wie die Atmosphäre dieser kurzen Sequenz auf rund 200 Seiten ausgedehnt wirkt. Zweifellos beruht Seckigs  Geschäft in erster Linie auf Nepp und Betrug – Kunden sind ihm eigentlich zuwider. Viel lieber widmet er sich den jungen Mädchen, die er von der Straße aufgabelt, mit Drogen versorgt und sich gefügig macht. Ines ist ein anderes Kaliber als diese unreifen Punkerinnen: Sie dient Seckig als Köder für einen anderen Händler, der auf großgewachsene Schönheiten im Fischgrätkorsett  steht.

Schuemmers Prosa ist salzwassergetränkt; schier unerschöpflich scheint ihr Reservoir maritimer Motive zu sein. Die Lyrikerin Schuemmer, die jedes einzelne Wort auf sein Gewicht prüft, ist auch in ihrer Prosa zu erkennen. Da stehen sirenengleiche Verlockungen, die schillernde Erotik von Meerjungfrauen unmittelbar neben dem rätselhaft tentakeligen, schleimig-schuppigen Unbekannten auf dem Meeresgrund, das man lieber nicht aus seinem unruhigen Schlaf wecken will. Bis in die Nebenfiguren ist der Roman filigran durchkomponiert und greifen die Geschichten ineinander: Da ist Patte, der ehemalige Geschäftspartner Seckigs, der bei einer vermeintlichen Begegnung mit einer Nixe beide Beine an eine Schiffsschraube verloren hat und sich nunmehr von einem Otter auf seinem Schoß die Richtung seines Rollstuhls vorgeben lässt. Und da ist Lorchen, die tragische Händlerin, die früher als „Totenleserin“ gefragt war und nun glaubt, unbedingt einen Mann an ihrer Seite zu brauchen und ausgerechnet Seckig zu diesem Zweck auserkoren hat. Und da ist natürlich Ines, die nur stückweise preisgibt, welche Bedeutung das verschwommene Polaroid für sie hat.

Die einzelnen Lebensläufe sind kunstvoll motivisch ineinander verwoben. Magischer Realismus und beißende Satire reichen sich die mit Schwimmhäuten versehenen Hände. Knut Seckig ist dabei nur das unangenehmste Exemplar einer durch und durch verkommenen Kunst- und Antiquitätenhändlerszene. Schmierig sind die Ölsardinen, die er mit bloßen Händen in sich hineinstopft, schmierig ist jeder Satz, der seinen wulstigen Lippen entweicht. Und wenn es hinter den feuchte Wänden, in denen „der Schwamm“ haust, gluckert und rauscht, dann weiß nicht nur der Leser, dass hier noch ein dunkles und glitschiges Geheimnis lauert.

Neben der ausufernden maritimen Motivik lässt die Autorin aber auch Raum für tiefgründigen Humor: Wie sie zum Beispiel den Aufbau und Ablauf der Messe schildert, die verlogenen Rituale falscher Kollegialität, wenn Sektflaschen als Gastgeschenke kursieren und kritisch nach Wert begutachtet werden, dann hat das entlarvende satirische Qualitäten.

Für die Autorin ist dieser Roman beinahe ein Lebensprojekt. Auf Ihrer Homepage schildert sie, wie sie dieses Sujet seit ihrer Studienzeit in den 1990er Jahren verfolgt, als sie in einer Kunsthandlung arbeitete und dort offenbar in einem „misogynen, zynischen“ Besitzer das Vorbild für Knut Seckig persönlich kennenlernte. Zahlreiche Skizzen, Handlungsentwürfe und Rohfassungen entstanden im Laufe der Jahre, die Autorin drohte unterzugehen in den dunkel schimmernden Untiefen. Doch sie ist aufgetaucht und es ist dem konkursbuch Verlag hoch anzurechnen, diesen funkelnden Schatz gehoben und verlegt zu haben.

Frank Schorneck

Silke Andrea Schuemmer: Nixen fischen. Konkursbuch Verlag 2017. 224 Seiten. 12,90 Euro

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