Die Zukunft des hybriden Menschen
– Thomas von Steinaecker ist ein Schriftsteller, der zwischen den Genres oszilliert und in seinen Romanen die Wirklichkeit auf surreale und fantastische Weise erweitert. In „Die Verteidigung des Paradieses“ zeigt er uns die Zukunft unserer Gegenwart in Form eines dystopischen Science-Fiction-Romans. Karsten Herrmann hat das Buch gelesen.
Nach einem Super-GAU hat sich eine Gruppe Überlebender auf eine künstliche und unter einer Klimaglocke liegende Alm in den Alpen gerettet. Da sind Cornelius, der Anführer und Ex-Chef einer riesigen Fleischfabrik, Jorden, ein Ex-Söldner, Chang und Özlem, die bald Nachwuchs bekommen sollen, sowie Anne, die gute und schon leicht demente Fee. Unter ihnen ist aber auch Heinz, der 15-jährige Ich-Erzähler des Romans, der im Alter von vier Jahren am Straßenrand gefunden und gerettet wurde. Er pflegt liebevoll „Altwörter“ wie „Parkett“, „Plenarsaal“ oder „artgerecht“ und kann die Anfänge großer literarischer Werke aus dem Nichts rezitieren. Heinz, der „allerseltenstes Material, Papier, Papier! aus der Voruntergangswelt“ ergattern konnte, versteht sich als Chronist der Ereignisse und als Bewahrer des Menschlichen: „ich werde dafür Sorge tragen, dass in meinen Aufzeichnungen, meinen Notaten, die Kultur des Homo Sapiens überdauert“. Im Unterschied zu all den anderen Überlebenden kann diese Gemeinschaft auf der von der zerstörten Umwelt abgeschirmten Rosenalm ihre Würde und Mitmenschlichkeit noch eine Zeit lang bewahren. Doch dann bricht schließlich auch diese Biozone zusammen und sie müssen ihre Heimat verlassen – in der Hoffnung, eines der Transitlager in unzerstörten Ländern zu erreichen.
Es beginnt eine Odyssee durch eine verstrahlte lebensfeindliche Umwelt, durch die Mutanten und Replikanten auf der Suche nach Opfern streunen. Schnell sind für die Gruppe die Grenzen des Humanen erreicht und es geht nur noch um das Überleben um jeden Preis.
Thomas von Steinaecker führt den Leser nicht nur durch dystopische Landschaften voller Schrecken und Grauen, sondern auch in eine fantasievoll ausstaffierte Welt, in der Mensch und Technik zunehmend verschmelzen. So ist der beste Freund von Heinz der elektrische Wüstenfuchs F 87, der Geschichten erzählt, tröstet, aufmuntert und tatsächlich zu so etwas wie Mitleid fähig ist. Und selbst bei Heinz ist irgendwann nicht mehr ganz klar, ob dieser tatsächlich nur ein menschliches Wesen ist.
Wie sieht die Zukunft des Humanen und seiner Hybridformen aus und welche Rolle kann die Moral noch im Kampf ums Überleben spielen? Diese brennenden Fragen beleuchtet Thomas von Steinaecker in seinem Roman auf originelle Weise, kann dabei aber gewisse Längen und Vorhersehbarkeiten in einem letztlich handlungsgetriebenen Sciene-Fiction-Plot nicht ganz vermeiden.
Karsten Hermann
Thomas von Steinaecker: Die Verteidigung des Paradieses. S. Fischer, 410 Seiten. 24, 99 Euro. Zur Leseprobe.