Ein sanfter Beobachter
– Ronald M. Schernikau ist bei der breiten Masse bekannt geworden durch die 2009 erschienene Biografie seines Freundes Matthias Frings namens „Der letzte Kommunist“, denn Schernikau war einer der letzten Republikflüchtlinge, allerdings in umgekehrter Richtung. 1989 machte er vom Westen in den Osten „rüber“ und wurde Staatsbürger der DDR. Mit der Wiederveröffentlichung von „und als der prinz mit dem kutscher tanzte, waren sie so schön, daß der ganze hof in ohnmacht fiel“ (so der ungekürzte Titel), der bereits Teil von Schernikaus Werk „legende“ war, übernimmt der Verbrecher Verlag die lobenswerte Unternehmung, diesen äußerst wichtigen Autor, der 1991 an den Folgen von AIDS starb, weiter in der deutschen Literaturlandschaft zu verankern. Von Tina Manske
„und als der prinz …“ entstand als vorbereitende Arbeit für einen geplanten Comic, der zusammen mit Thomas Schulz realisiert werden sollte. Dazu kam es leider nicht, es erklärt aber die ungemein szenische Schreibweise Schernikaus – hier wird tatsächlich ein Skript vor den Augen der Leser ausgebreitet, nicht umsonst ist im Untertitel von einem „utopischen film“ die Rede. Und utopisch ist die Szenerie tatsächlich, denn es geht um das Leben von vier Männern; Franz, Tonio, Bruno und Paul, die sich in einer ménage-à-quatre versuchen. Es ist der alte Traum von einer Liebe, die sich nicht im Besitzdenken und in der Zweisamkeit erschöpft, die sich gegen die Eifersucht erhebt und den Menschen aus seinem monogamen Gefängnis befreit.
Doch der Text ist keineswegs in einer fernen Zukunft angesiedelt, die Handlung spielt ganz konkret im Jahr 1982 – der Tod von Rainer W. Fassbinder und von Romy Schneider werden erwähnt, Franz singt bei seinen Auftritten im Schwulenclub Songs von Marianne Rosenberg und Milva. Utopie? Eben nicht, der Text ist eine sanfte Schilderung einer knallharten westdeutschen Homosexuellensozialisierung, Ausflüge in die Arbeitswelt der Protagonisten zeigen die herrschende Homophobie, das Sich-Versteckenmüssen. Und natürlich wird nebenher auch politisch gearbeitet, sitzen die Freunde in kommunistischen Gruppierungen zusammen und legen sich auf Demos mit der Polizei an. Utopie? Dann doch, denn der Text lässt im Zusammenleben der Hauptakteure eben eine andere Welt entstehen, eine, die doch möglich zu sein scheint, in der das Andere nicht mehr bekämpft werden muss.
Keiner bleibt allein
Das Schöne an Ronald M. Schernikaus Texten ist, dass er die Naivität nicht scheut. Doch nie ist diese Naivität Schönfärberei oder Weltflucht, vielmehr zeigt sich der Autor als verletzlicher, aber doch auch sehr sanfter Beobachter der Dinge, wie sie nun einmal sind. Er betrachtet – auch wenn das nun wieder naiv klingen mag – die Menschen mit Liebe. Und so dürfen die handelnden Personen am Ende auch in einer herrlichen Szene alle miteinander verschmelzen, keiner bleibt allein.
Der Stil des Textes erinnert tatsächlich an Drehbücher; Schernikau zitiert in seinem Verfahren sehr deutlich filmische Darstellungsweisen und lässt in einer der besten Szenen sogar Filmgeschichte aufleben, als er vor lauter Übermut Bruno aus dem Haus kommen, mit einem kleinen Mädchen sprechen und als Paul lachend weitergehen lässt – einer kann sich hier in den anderen verwandeln und nichts geht verloren, eine Bewegung, die sich Schernikau von Bunuel abgeschaut hat. Diese und weitere Entdeckungen kann der Leser dem kundigen Nachwort von Stefan Ripplinger entnehmen, der darin die Verknüpfungen, die diesen Text mit vorherigen Versionen in anderen Werken Schernikaus verbinden, sehr schön auf den Punkt bringt.
Tina Manske
Ronald M. Schernikau: und als der prinz mit dem kutscher tanzte, waren sie so schön, daß der ganze hof in ohnmacht fiel. ein utopischer film. Herausgegeben von Thomas Keck. Mit einem Nachwort von Stefan Ripplinger. Berlin: Verbrecher Verlag 2012.120 Seiten. 18 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur ofiziellen Seite des Autors geht es hier. Zu einer Besprechung von Schernikaus Roman „Königin im Dreck“ geht es hier.