Von der Territion zur Garotte
– Lorenzen setzt seine Hauptfigur Claus Jordan direkt ins Zentrum des Geschehens einer beängstigenden Gesellschaft. Und beinahe wäre dieser bemerkenswerte Roman im Zuge des allgemeinen kulturhistorischen Gedächtnisverlustes untergegangen. Dass dem nicht so ist, freut Tina Manske.
Der Kunsthändler Claus Jordan und seine Frau Susanne kommen von einer Reise zurück und machen auf dem Heimweg nach Frankfurt noch einen kurzen Zwischenstopp in Bad Walden, einem Kurort im Hochschwarzwald. Doch der Aufenthalt wird alles andere als erholsam. Die Einwohner von Bad Walden verhalten sich äußerst merkwürdig, sie sind abweisend bis feindselig, scheinen mehr über das Pärchen zu wissen als wahrscheinlich wäre, Männer wie Frauen schlagen um ins Frivole, die Unterkünfte wirken eher wie Hexenhäuser, die Gasthäuser wie Bordelle, und das touristisch erschlossene Wandergebiet Höllental erweist sich als gefährliche Schlucht, in der schon mal Kellnerinnen verschwinden. Die Ereignisse stehen offensichtlich im Zusammenhang mit Grundstücksspekulationen, die auf dem Plan gründen, eine Autobahntrasse nahe des Ortes entlangzuführen. Die Jordans finden sich plötzlich in der Rolle der unschuldig Angeklagten – obwohl: Kläger sind eher sie selbst, und sind sie überhaupt wirklich unschuldig?
Zum ersten Mal erschien Bad Walden unter dem Titel Grüße aus Bad Walden: Mord auf Super 8 im Jahr 1981; schon damals war es eine Nachbearbeitung einer ursprünglich als Drehbuch konzipierten Geschichte. Tatsächlich lief am 18.11.1980 im ZDF der Fernsehfilm „Grüße aus Bad Walden“, der aber, so Rudolf Lorenzen in seinem Nachwort zur neuen Ausgabe, den Fokus zu sehr auf die doch recht dürre klassische „Krimihandlung“ des Buches legte. Lorenzen arbeitete das Buch also zum Roman um, doch auch der wurde als „Krimi“ verkauft, und zwar mehr schlecht als recht.
… mehr Monster …
Für die neue Werkausgabe seiner Bücher im Verbrecher Verlag hat Rudolf Lorenzen, mittlerweile auch schon weit in den Achtzigern, sein Bad Walden nun noch einmal radikal umgearbeitet. Am auffälligsten dürften die steten Verbindungen zu Goyas Radierungen sein: Jedem Kapitel ist der Titel eines desastres vorangestellt. Lorenzen selbst hat seinen Roman dem von ihm selbst erfundenen Genre des „Bedrohungsthemas“ zugeordnet; tatsächlich ist diese wenig konkrete Bedrohung die ganze Zeit über spürbar, Lorenzen setzt seine Hauptfigur Claus Jordan direkt ins Zentrum des Geschehens einer beängstigenden Gesellschaft. Das Buch ist in vier Teile geteilt, die jeweils mit Begriffen aus der Inquisition betitelt sind: „Territion“, „Tortur“, „Autodafé“ und „La Garrotte“ zeigen an, dass hier das Schicksal eines recht langweiligen Bürgers aus der Stadt mit der großen Geschichte zusammengeführt wird.
Die neue Werkausgabe stellt eine günstige Gelegenheit dar, diesen wichtigen Schriftsteller der deutschen Nachkriegszeit noch einmal oder ganz neu kennenzulernen. Auch Alles andere als ein Held, Lorenzens Roman eines typisch deutschen Duckmäusers, erstmals erschienen 1959 und damals leider zwischen den allfälligen Bölls und Grassens zerrieben, sollte man eines eingehenden Blickes würdigen.
Tina Manske
Rudolf Lorenzen: Bad Walden oder El sueño de la razón produce monstruos. Roman. Berlin: Verbrecher Verlag 2008. 234 Seiten. 22,90 Euro.
Leseprobe beim Verbrecher Verlag.