Geschrieben am 5. März 2014 von für Bücher, Litmag

Ryad Assani-Razaki: Iman

Ryad Assani-razaki_ImanFlucht oder Zukunft in der Heimat?

– Ein namenloses afrikanisches Land, das allem Anschein nach Benin ist, aber auch viele andere sein könnte, ist Schauplatz des beinahe 40 Jahre umfassenden Romans „Iman“. Der Autor Ryad Assani-Razaki nimmt den Leser mit in die Welten dreier junger Menschen, Figuren, die Allegorien und doch Individuen sind. Von Sophie Sumburane

Es beginnt mit Toumani, einem zu Beginn 6-jährigen Jungen, der für knapp 23 Euro von seinem Vater verkauft wird. Vom Lande in die Hauptstadt gebracht, fristet er seine Tage im Haus der Kinderhändlerin, lernt die ebenfalls verkaufte Alissa kennen um schließlich bei einem Tyrannen zu landen. Bei Monsieur Bia verliert der Junge, der nun Apollinaire heißt, nicht nur sich selbst, sondern auch seine Gesundheit. Er lernt Willkür kennen und erfährt auf brutalste Weise, was Schmerzen sind. Erst nach mehreren Monaten, zum Krüppel geprügelt und zum Sterben in einen Kanalschacht geworfen, kreuzen sich Toumanis und Imans Wege zum ersten Mal. Der Junge, der längst kein unbeschwertes Kind mehr ist, wird endlich aus seinem Sklavendasein gerettet, um von nun an am Rande der Kriminalität zu überleben. Der weder schwarze noch weiße Junge Iman weicht ihm nicht mehr von der Seite, eine Freundschaft, wie nur Extreme sie hervorbringen kann, entsteht.

Die Titelfigur Iman ist der Sohn eines weißen, verheirateten Franzosen und der jungen Afrikanerin Zainab. Die liebt ihren Sohn einfach nicht, der Vater geht zurück in seine Heimat, der neue Mann kann ihn wegen der hellen Haut nicht als seinen eigenen Sohn ausgeben und so kommt es, wie es kommen muss. Von seiner Familie verstoßen lebt er das Leben eines Straßenjungen und träumt von Europa, der Heimat seines Vaters.

Die Geschehnisse um die drei jungen Menschen Toumani, Alissa und Iman werden ergänzt durch die historische Erzählung um die tief gläubige Großmutter Imans, Hadsha, die das Ende der Kolonialzeit erlebt, einen Umsturz überlebt und sich mit ihrer Tochter Zainab zur Schwägerin in die Hauptstadt rettet. Zainab schließlich scheitert an dem Versucht, eine selbstständige Frau zu sein, wahrgenommen zu werden ohne einen Ehemann zu haben und resigniert schließlich in einer von der Tante arrangierten Ehe. Mit dem zweiten Sohn, dem neuen Mann und dem vom ersten Mann finanzierten Friseursalon, scheint sie angekommen in der Gesellschaft, gegen die sie doch eigentlich rebelliert hatte.

Der konventionell aufgebaute Roman bedient sich in der Anlage der Figuren der Allegorie in ihrer reinsten Form. Jede Person steht für eine Facette Afrikas, fällt dabei niemals aus ihrer Rolle und personifiziert so verschiedenste Wünsche und Lebensmodelle. Der Roman erweckt dabei den Anschein, jedes Lebensmodell führe in Afrika in die Abhängigkeit, in die Armut oder die Kriminalität. Das Bild des Kontinents ist ein dunkles, durchzogen vom Wunsch, auszubrechen, ein besseres Lebens zu leben. „Die Welt gehört uns allen!“, antwortet Iman seinem Freund Toumani auf dessen Aussage: „Die Welt gehört den Weißen.“ Doch ist das so?

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Ryad Assani-Razaki by Philippe Matsas/Opale

Im Buch tauchen „die Weißen“ stets in ihrer Rolle als ehemalige Kolonialherren auf. In ihren Händen liegt das Geld, die Macht, das schöne Leben, auf ihrem Kontinent die Zukunft. Für diese Ansicht steht Iman, Toumani dagegen glaubt an eine Zukunft in der Heimat. Ein Konflikt zwischen den Freunden, der sich das erste Mal an einer Weißen zeigt.

Die Französin Anna, in die Iman sich verliebt, ist in seinen Worten „etwas Besonderes!“, im Gegensatz zu den vielen schwarzen Frauen, mit denen er schon zwanglos geschlafen hatte. Toumani ahnt warum, weil sie weiß ist: „sie wird dich verlassen, wie dein Vater dich verlassen hat.“, prophezeit dieser und soll recht behalten.

Anna gibt Iman Geld für ein Flugticket, besorgt ihm ein Visum, nur, um dann doch allein zurück in die Heimat zu fliegen. Der Vater hatte die Liebe verboten, schreibt sie in einem Brief, das Geld solle Iman behalten. Doch der Traum von Europa stirbt nicht. Auch nicht, als ein Rückkehrer von seiner Zeit in Europa berichtet. Er zeichnet das Bild eines kalten Kontinents, in dem er im Obdachlosenheim ein Messer in den Bauch bekam, im Streit um Essen. In dem er abseits der Gesellschaft in ebensolcher Armut lebte, aus der er gekommen war, und sich freute, als Europas Polizei ihn bei der ersten Gelegenheit zurück ins Heimatland schickte.

Und so ist das Buch nicht nur eine Geschichte über Afrika, sondern auch über Europa. Iman ist die Symbolfigur des Romans, Symbol für die Tausende Afrikaner, die jedes Jahr die lebensgefährliche Überfahrt wagen, ihre Heimat hinter sich lassen, obwohl das was vor ihnen liegt, nur ein Abbild des alten Lebens ist. Toumani dagegen verliert den Glauben in seine Heimat nie, glaubt, Iman mit Hilfe von Alissa von seinem Vorhaben abbringen zu können und macht doch nur alles schlimmer.

Die drei Jugendlichen sind im dritten Drittel des Buches auf pathetische Weise miteinander verbunden, in Seifenopermanier scheitern ihre Annährungsversuche, kommen Liebesbekenntnisse nicht an oder werden aus den falschen Gründen nicht erhört. Die Figuren hetzen atemlos durch die Szenen und Schauplätze, glücklich wird am Ende niemand. Alissa steht zwischen Iman, der das Land verlassen will und Toumani, der gehen will und lässt das Buch zur existentiellen Frage werden, ob ihre Generation ihrem perspektivlosen Schicksal nur durch Flucht oder auch in der afrikanischen Heimat entkommen kann. Eine Antwort gibt Assani-Razaki höchstens indirekt. Der Leser wird entlassen, allein mit den losen Fäden der Lebensgeschichten.

„Iman“ ist ein wundervolles Buch, das so viele afrikanische Probleme aufgreift, wie kaum ein anderes. Nicht alle sind hausgemacht, aber über allem was die Figuren tun, schwebt der Geist der ehemaligen Kolonialzeit und die Frage, wie wäre das Leben verlaufen, wenn, ja wenn man nur in einem anderen Land geboren worden wäre.

Sophie Sumburane

Ryad Assani-Razaki: Iman (La main d’Iman, 2013) Aus dem Französischen von Sonja Finck. Wagenbach 2014. 320 Seiten. 22,90 Euro. Foto: Philippe Matsas/Opale

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