Geschrieben am 27. Oktober 2012 von für Bücher, Crimemag

Ryan David Jahn: Der Cop

Go West!

Ryan David Jahns Roman „Der Cop“ variiert Standardsituationen populärer Kultur. Zu viel Klischees oder originelle Lösungen? Henrike Heiland schaut sich das Handwerk an …

Ian Hunt, da führt uns der deutsche Titel etwas in die Irre, ist kein „richtiger“ Cop. Das war er mal, aber jetzt ist er der Disponent, also der Typ, der die Notrufe entgegennimmt und die Kollegen entsprechend einteilt. Vor sieben Jahren wurde seine Tochter Maggie entführt, danach brach sein Leben auseinander. Jetzt ist er geschieden, hat keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn aus erster Ehe (er sollte auf Maggie aufpassen, als sie entführt wurde) und hat sein Alkoholproblem gelöst, indem er sich auf sechs Flaschen Guinness am Abend beschränkt. Von sechs Flaschen wird er nämlich nicht betrunken.

Ian erhält vier Monate nachdem seine Tochter offiziell für tot erklärt wurde und eine Trauerfeier stattgefunden hat einen Anruf von ihr – einen Notruf. Maggie, heute vierzehn Jahre alt, konnte ihrem Entführer für einen Moment entwischen. Sie beschreibt den Mann, doch er reißt sie vom Telefon weg, bevor sie seinen Namen verraten kann.

Es dauert ein paar Tage, dann wissen die ermittelnden Beamten, wer Maggies Entführer ist: Henry Dean, Hausmeister an einer Schule. Doch die Festnahme gerät zur Katastrophe, und für den schwer verletzten Ian beginnt eine Verfolgungsjagd durch den Südwesten. Er ist entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen, um seine Tochter zu befreien.

Nichts Neues

Der Plot ist simpel, vorhersehbar und alles andere als neu. Die Figuren sind es ebenso. Ian, der gebrochene Held, der selbst zum Mörder werden muss, um seine Tochter zurückzuholen. Henry, der selbstgerechte Entführer, allzeit bereit, zu foltern und zu morden und den anderen noch die Schuld dafür zu geben, denn letztlich ist, wie er glaubt, seine Frau an allem Schuld – sie wollte schließlich ein Kind. Es gibt ein paar nette Einfälle, die die Geschichte abrunden sollen, aber irgendwie kennt man alles schon, jede Nebenfigur, jede Wendung. Selbst die Atmosphäre ist nahezu schon abgedroschen zu nennen. Man hat schwitzende, übergewichtige Menschen (die sind meist böse), einsame, viel Alkohol konsumierende Männer mit Beziehungsproblemen, staubige, öde Landschaften, Waffen, Paranoia. Der Held ist so sehr Held, dass er selbst mit kollabierter Lunge das Krankenhaus verlässt, um zu tun, was ein Mann tun muss, und der Bösewicht so böse, als käme er aus dem Bilderbuch: Schon als Junge erschlug er Welpen. Und natürlich dürfen auch Fragen nicht fehlen wie: Wann ist Töten erlaubt? Lauert das Böse etwa in uns allen? Heiligt der Zweck (Befreien des Töchterchens) die Mittel, oder ist Ian Hunt, der „Cop“, in Wirklichkeit keinen Deut besser als Henry Dean?

Aber.

Das Buch hat seinen ganz eigenen Reiz, denn die Abgedroschenheit der Motive lässt sich als Remix des Genres verstehen. Jahn folgt klassischen road novels (z. B. Jim Thompson oder Jack Kerouac), und er folgt dem amerikanischen Traum, der nach Westen führt, weshalb er seine Protagonisten von Texas nach Kalifornien schickt. Er zerstört mehr als nur eine Familie (die Familie als amerikanischer Traum), um einer anderen die Möglichkeit zu geben, neu bzw. wieder zu entstehen. Das Traumziel Kalifornien wird zum tödlichen Albtraum, die Jagd nach dem goldenen Westen endet bei einer blutrot untergehenden Sonne.

Verstärkt wird dies durch den cleveren, schnellschnittigen Perspektivwechsel, den der Autor vollführt. Sprachlich beschränkt er sich auf das, was unbedingt nötig ist, was gerade in den Dialogen gut tut. Etwas holpert er, wenn er versucht, die Figuren zu psychologisieren, statt ihnen einfach nur ihren Background zu geben und diesen stehen zu lassen. Doch insgesamt: zufriedenstellend. Handwerk. Gibt einen guten Film im Kopf.

Henrike Heiland

Ryan David Jahn: Der Cop („The Dispatcher“, 2011). Deutsch von Ulrich Thiele. München: Heyne 2012. 336 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Website des Autors. Und hier geht’s zur Homepage von Henrike Heiland.

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