Geschrieben am 3. Oktober 2016 von für Bücher, Litmag

Sachbuch: Kathrin Fritz, Maurice K. Grünig: Handwerkstätten

handwerk-cover9783858697103Die Letzten ihrer Zunft

Nach diesem Buch müssen sie sich eigentlich bei Manufactum („Es gibt sie noch, die guten Dinge“) die Finger schlecken, findet Alf Mayer. „Handwerkstätten“ von Kathrin Fritz und der Fotografin Maurice K. Grünig, im Zürcher Rotpunktverlag erschienen, porträtiert 24 Schweizer Manufakturen mit alten traditionellen Herstellungsweisen, und das nicht im Museum, sondern im Kleinbetrieb. Funktions- und existenzfähig. Manche aber sind die letzten ihrer Zunft.

Das hochwertige, durchgängig mit großartigen Fotos illustrierte, bei Pustet in Regensburg gedruckte Buch (Papiergewicht 130 g, mit 1.08 f-Volumen) ist eine Fundgrube. Eine Schatzkammer. Ist die kenntnisreiche Feier alter Berufe und Fertigkeiten, ist fulminantes Zeugnis einer weithin untergegangenen und weiter untergehenden Arbeitswelt. Die auf dem Buchcover den Hammer schwingende Schmiedin Maja Zbinden aus Madiswil aber zeigt: Wir leben noch, wir sind in Schwung!

Gestaltet wurde das Buch von Ulrike Groeger nach allen Regeln der Kunst.  Gegenüber den ursprünglichen Zeitschriftenreportagen ordnete sie zusammen mit der Fotografin Maurice K. Grünig die Fotos neu und gab so dem Buch auch eine entscheidend „erzählerisch visuelle“ Haltung. Eine vollauf gelungene, ja preiswürdige Leistung. Es macht Spaß, in diesem Buch auf eine Handwerkstour zu gehen.

Da geht es zu
den Gerbern und den Wollverarbeitern in Huttwil,
zu einem Teeanbauer auf dem Monte Veritá,
zu einem Silberbesteckmacher in Schaffhausen,
zum Küfer in Küssnacht am Rigi,
und dort auch zu einer Büstenmacherin,
zum Wappensticker in Dreien,
dem Rosshaarmatrazenmacher in Niederbipp,
den Buchdruckern in Vättis,
den Musikdosenmachern in Sainte-Croix,
dem Stielmacher im Sennwald,
den Schnitzern im Muotatal,
den Stoffdruckern in Mitlödi,
den Tropetenbauern in Winterthur,
und dort auch zu einem Seiler,
einem Pfeifenbauer in Affoltern am Albis,
zu einer Sackdruckerin in Heimiswil,
zu einer Sanglière in Les Carbonnières,
einer Vacherinkäserin in Le Sechéy,
zu den Handweberinnen in Santa Maria,
zu einem Schlittenbauer in Rümligen
und zu den Turmuhrbauern in Sumiswald.

Reportage, Porträt, Waren- und Fertigungskunde und viel genauer Blick sind die journalistischen Mittel von Kathrin Fritz, die einmal europäische Volksliteratur, Germanistik und Komparatistik studiert hat und als Redaktorin bei der Zeitschrift „Schweizer Familie arbeitet, wo die Buchtexte in anderer Form und Aufmachung erschienen sind. Kongenial ergänzt wird sie bei ihren Manufakturen-Porträts von der freien Fotografin Maurice K. Grünig. Mit ihrem Blick und Sinn für Details, Situation und Wesentliches macht sie das Buch zu einem Augenfest. Selten hat mich in jüngerer Zeit ein Bildband so in den Bann gezogen. Man sehe sich beispielhaft etwa das Kapitel „Von Kanteln und Holmen“ über den Pfeifenbauer Roman Peter an (Seiten 142 bis 153) an oder über die Schmiedin Maja Szinden (Seiten 32 bis 43).

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Käse wie Tannenbast nur aus einer ganz eingegrenzten Region

Jedes Handwerksporträt hat auch ein Glossar, in dem wichtige und gängige Begriffe erläutert werden. Bleiglanz und Druckstock etwa, die dem Kapitel über die Sackdruckerin Janine Soom-Flück den Titel geben, erklären sich als „Giftiges Piment aus Blei, Bestandteil der Druckfarbe“ und „Seitenverkehrtes Modell aus Birnbaumholz zum Drucken“. Mit einem Schindeisen und viel Gefühl drückt die Sanglière Marianne Golay die Rinde von den frischgefällten Tannenstämmen, die ebenso wie der Vacherin-Käse nur aus einer ganz eingegrenzten Region stammen dürfen. Der Bastriemenschneiderin (wie sich Sanglière übersetzt) geht es um den wertvollen, makellosen, von keinem Borkenkäfer verletzten, frischen Tannenbast. 60 Rappen bezahlt ihr die Käserin pro Meter Reifen, 70 Meter muss Marianne Golay pro Stunde schaffen, damit sich die schwere Arbeit für sie rechnet. Die fertigen Streifen schnürt sie zu Bündeln und wickelt sie in einen Sack; etwa 20 Kilo sind es, die sie den steilen Berghang hinunter nach Hause trägt, wo die Bündeln zwei bis drei Wochen unter dem Hausdach trocknen. Dann ist die Käserin Danièle Magenat dran, die mit einem 400-Liter-Kessel  arbeitet, in dem schon ihr Vater gekäst hat. Erst die Umreifung aus Fichtenbast macht aus ihrem Käse einen echten Vacherin Mont-d’Or. Zwanzig Tage muss er bei ihr reifen, und trägt dann den Geschmack des Vallée de Joux mit seinen Tannen in die Welt.

„Am Klang der Maschine erkenne ich die Spannung, am Geruch der Faser merke ich, ob alles stimmt, mit Händen und Augen prüfe ich die Qualität“, spricht Martin Benz über seine Arbeit. Er ist Seiler und mag Spezialwünsche besonders gerne, die nicht einfach zu lösen sind. Er macht Trapezseile für Artisten, Seile für Fesselkünstler und Zauberer, Schiffstaue, Auffangnetze, Richtschnüre für den Bau, Antriebseile für Uhren oder Armbrustsaiten. Eine Reeperbahn übrigens ist jene lange gerade Bahn oder ein Gang, wo die Seiler Taue herstellen. Auch die Hamburger Straße hat ihren Namen von den Reepern oder Seilern, die dort einst für den Schiffsbau arbeiteten.

1905 existierten in der Schweiz 230 Gerbereien. Heute hat der Gerbereiverband noch sieben Mitglieder. Die Kunst, aus Tierhäuten Pergament herzustellen, beherrschen in Europa noch zwei Familien. Eine davon ist die Familie Graber in Huttwil, in deren Loh- oder Rotgerberei ausschließlich pflanzliche Substanzen zum Gerben verwendet werden. Auch die Messerschmiedin Maja Zbinden, der Seiler Martin Benz, der Rosshaarmatratzenmacher Heinz Roth oder der Turmuhrbauer Oliver Baer gehören zu den Letzten ihrer Zunft.

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Die Frage nach dem Sinn und dem Wert der Arbeit

Manchmal direkt, oft zwischen den Zeilen und den Bildern stellt sich in diesem wunderbaren Buch immer wieder die Frage nach dem Sinn und dem Wert der Arbeit jenseits von Gewinnoptimierung und gesellschaftlichem Prestige. Maxim Gorki wusste: „Die Arbeit ist immer mehr wert als der Preis, den man für sie zahlt. Das Geld verschwindet, die Arbeit aber bleibt.“ Einst gab es Königreiche, in denen der König „Meister“ oder „Mastro“ genannt wurde; Meister des Hammers, der Feile, des Schustermessers, der Nadel, der Drehbank und so fort. „Eine Kultur lebt vor allem in der Mannigfaltigkeit ihrer Berufe. Jeder von ihnen bringt, abgekapselt in seiner Zelle, für sich Gesichtsausdrücke, Kleidung, Sprachen, Haltungen, rührende oder scherzhafte Anekdoten, eine Pädagogik, eine Moral hervor“, sagt Gesualdo Bufalino in seinem „Museum der Schatten”. Manche unserer Großväter oder Urgroßväter haben ihr Leben lang einen Beruf ausgeübt, von dem man heute kaum noch weiß.

Wie viel an hochspezialisiertem Wissen, an qualitätsvoller Produktion, an Wert und Sinn ist uns hier verloren gegangen? Ein beträchtlicher Teil unserer Familiennamen – egal aus welchem Land wir stammen – leitet sich von Berufsbezeichnungen, Tätigkeiten, Werkzeugen, von Erzeugnissen und Handelswaren ab, ja auch von Arbeitsgeräuschen und Begleiterscheinungen. Schauen Sie Ihr persönliches Freundes- und Adressbuch einmal nach diesem Ordnungsprinzip durch. Und wenn Sie in Hamburg sind, schauen Sie in das „Museum der Arbeit“. Denken Sie überhaupt einmal wieder ein wenig über die Qualität von Arbeit nach. Arbeit kostet einfach zu viel und ist uns zu wenig wert – zumindest, wenn es nicht die eigene ist.

Das Buch hat auch einen überaus brauchbaren, ausführlichen Adressteil und ergänzt sich inhaltlich bestens mit Rudi Pallas großem historischen Werk „Verschwundene Arbeit. Das Buch der untergegangen Berufe“ (2014; CulturMag-Besprechung hier).

Alf Mayer

Kathrin Fritz, Maurice K. Grünig: Handwerkstätten. Vom Messerschmieden, Pergamentmachen und anderen fast vergessenen Arbeiten. Rotpunktverlag, Zürich 2016. Zahlreiche Farbfotos, Hardcover, gebunden, Format 18 x 24 cm. 296 Seiten, 46,50 Euro.Verlagsinformationen. Abbildungen aus dem Buch.

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