Geschrieben am 1. April 2016 von für Bücher, Litmag

Sachbuch: Michael Muller: Haie. Auge in Auge mit den gefährdeten Räubern der Meere

mueller_haie6,3 zu 100 Millionen

-Mit Fotoaufnahmen noch nicht erreichter Qualität möchte der Verlag Taschen auf eine bedrohte Tierart aufmerksam machen. Alf Mayer hat sich das Buch angesehen.

Haie sind nicht das, wofür wir sie halten. Steven Spielberg hat da Schlimmes angerichtet, und nicht nur er, denn „der Mensch schützt nur, was er liebt“, wie der Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau wusste. Auch für seinen Enkel Philippe Cousteau Jr. hatten Haie einst „Augen wie schwarze Löcher, so stumpf und teilnahmslos wie ein Albtraum nach einem Horrorfilm“ – bis er im Jahr 2012 den kalifornischen Fotografen Michael Muller zu einer Tauchexpedition vor Guadalupe begleitete, 20 Bootsstunden von der mexikanischen Westküste entfernt und einer der wenigen Orte, an denen Weiße Haie sich regelmäßig einmal im Jahr versammeln. Cousteau stieg mit hinab in einem Taucherkäfig, begegnete den Haien ganz nah und beobachtete „Augen von unerwarteter Tiefe, mit einem feinen blauen Ring um die Pupillen“, fand weder Mordlust noch maßlose Fresslust darin. „Was ich in diesen Augen sah, war Neugier.“

Neugierig zu machen, das ist auch das Ziel des großformatigen, großzügig gestalteten Bildbandes „Haie. Auge in Auge mit den gefährdeten Räubern der Meere“ von Michael Muller, aus dem die Cousteau-Zitate stammen. Es ist ein Coffeetable-Buch der wirklich besonderen Art, ein sicherer Tauchgang in eine Welt, die so noch vor keiner Kamera und von keinem Fotografen enthüllt worden ist. Der Hollywood-Fotograf Michael Muller, aufwändiges Arbeiten im Studio gewohnt und zum Beispiel für seine Posterfotografien von „X-Men“ oder „Ironman“ bekannt, nahm seine Studioausrüstung quasi mit unter Wasser, was natürlich weniger einfach ist als es klingt und lange Tüftelei, teils mit NASA-Hilfe, erforderte. Meist haben Unterwasserfotografen allenfalls zwei 400-Watt-Blitze dabei, Muller arbeitet mit 1200-Watt-Anlagen und mit Assistenten, kann – natürlich von Wasserverhältnissen abhängig – das Meer wie einen Innenraum ausleuchten. Das macht beeindruckende Bilder. Ihre blauen oder schwarzen Konterseiten sind gut gesetzt, dieses Buch hat einen visuellen Sog.
Doch als Intermezzo hier erst einmal eine Statistik:
Zahl der von Haien getöteten Menschen im Jahresdurchschnitt: 6,3.
Zahl der von Menschen getöteten Haie im Jahresdurchschnitt: 100 Millionen.

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1038 Arten sind keine Gefahr

Hai ist nicht gleich Hai. Sie sind Urzeit-Tiere, ihre Anatomie hat sich die die letzten 140 Millionen Jahre nicht signifikant verändert, sie bevölkern die Weltmeere seit rund 440 Millionen Jahren, bilden zusammen mit Chimären und Rochen die Klasse der Knorpelfische – mit 1041 bekannten Arten eine der größten Wirbeltiergruppen. Sie alle haben ein aus Knorpel bestehendes Skelett, was sie unter anderem sehr wendig macht, und zwischen fünf und sieben Kiemenspalten, leben in allen Ozeanen. Einige ihrer Arten legen Eier, wie etwa der Puffotter-Katzenhai, andere wie etwa der Große Hammerhai gebären lebend. Der Bullenhai hat sich an das Leben im Süßwasser angepasst, der Grönlandhai taucht im arktischen Eismeer bis 2000 Meter tief, der Zitronenhai mag die karibischen Tropen und sein Biss wäre der eines Pudels. Der Zwerg-Laternenhai wird ganze 21 Zentimeter lang, der Walhai dagegen als größter Fisch der Meere bis zu 18 Meter, er ist ein Planktonfresser. Dem Menschen gefährlich werden können Bullen-, Tiger- und Weißer Hai, sie prägen unser Bild vom Hai. 1038 Arten aber stellen nur eine geringe oder gar keine Gefahr dar.

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Die Suppe schmeckt nicht mal

Jedes Jahr werden weltweit um die 100 Millionen Hai von Menschen getötet, Schätzungen reichen von 63 bis 273 Millionen. Viele dieser Millionen sind Beifang, meist aber werden diese Tiere gezielt gejagt. Wegen Flossen, Fleisch, Leber und bei Rochen auch den Kiemenreusen. Der jährliche Verkaufswert dieser Beute liegt bei über 600 Millionen Dollar. Besonders übel ist das „Finning“, bei dem den Tieren die Flossen abgetrennt und die verstümmelten Tiere ins Wasser zurückgeworfen werden, wo sie qualvoll verenden. Dies alles nur, weil Haifischflossensuppe in China als prestigeträchtiges Gericht der Reichen gilt, obwohl die Flossen weder Nährwert noch Geschmack haben, den verdankt die Suppe der Hühnerbrühe. Vom Aussterben bedroht sind 249 Hai- und Rochenarten.

Michael Mullers klug aufgebautes Buch bringt uns die Haie näher: den Weißen, den Bogenstirn-Hammer- und den Weißspitzen-Hochseehai, die Bullen-, Wal-, Ammen- und Tigerhaie, den Seiden-, Pyjama- und Blauhai und die anderen. Die insgesamt 19 Hai-Arten des Bildbandes stellt die Meeresbiologin Alison Kock im informativen Anhang noch näher vor (etwa mit Nahrung, Länge, Bedrohungsstand). Ein Verzeichnis der Expeditionen nennt die Koordinaten, Vorhaben, Seetage, Entfernung zur Küste, Stunden unter Wasser, Tiefe und Wassertemperatur. Erstaunlich, dass Michael Muller seine Unterwasseraufnahmen erst im Oktober 2007 begonnen hat. Arty Nelson beschreibt Michael Mullers Erweckungsmoment und dessen Durchbruch in der Unterwasserfotografie. Muller selbst – dies einer der zusätzlichen Schatzpunkte des Buches – kommentiert im Bildverzeichnis seine Fotos, ein Buchschnelldurchlauf auf zehn Doppelseiten, ansprechend gestaltet.

Gerne ausgeweitet gesehen hätte ich die Doppelseite mit Hai-Fakten. 55.500 Kilometer ist längste Strecke, die ein mit einem Sender markierter Hai zurückgelegt hat. Dreißig- bis fünfzigtausend Zähne wachsen einem Weißen Hai im Lauf seines Lebens. Als schnellster Hai erreicht der Kurzflossen-Mako Spitzengeschwindigkeiten von 100 km/h. Alison Kock schreibt über „Konzepte zur Erhaltung einer Art“. Nützlich und weiterführend ist ein Verzeichnis von Organisationen – Auszüge siehe unten. Dieses Buch ist politisch, Tochter Charlotte hat da Benedikt Taschen zur rechten Zeit einen guten Stups gegeben.

Alf Mayer

Der Buchumschlag zeigt eine Bogenstirn-Hammerhaischule. Auf der ersten Aufklappseite ist sie in noch größerer Breite zu sehen.

Hai-Links zum Selbertauchen:
Sharksavers.org
sharkspotters.org.za
traffic.org/sharks
whitemike.org
iucnssg.org
oceana.org
pewenvironment.org

Michael Muller: Haie. Auge in Auge mit den gefährdeten Räubern der Meere. Bildband mit zwei Ausklappseiten. Großformat 28 x 37,2 cm. Hardcover. Mit Beiträgen von Philippe Cousteau, Jr., Dr. Alison Kock, Arty Nelson. Taschen Verlag, Köln 2016. 334 Seiten. 49,99 Euro. Fotos: Taschen Verlag.

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